Absolutistische Mentalität
Guatemalas Gewerkschaftsführer Banilla über die Macht der Unternehmen in seinem Land
nd: Guatemala gilt als eines, wenn nicht sogar als das gewerkschaftsfeindlichste Land der Welt. Gleichwohl hat Präsident Oscar Pérez Molina vor ein paar Monaten Sie hier in der Gewerkschaftszentrale besucht. Ein positives Signal?
Wir haben gesehen, dass der Präsident Oscar Pérez Molina anscheinend eine etwas demokratischere Vision von Guatemalas Zukunft hat. Aber das eine ist der Präsident, das andere ist die Einschätzung der Abgeordneten, der Verwaltung und der großen Unternehmen. Was ich damit sagen will? Dass es keine einheitliche Linie zwischen unten und oben gibt und nicht überall unsere Rechte respektiert werden.
Wie viele Arbeiter sind nötig, um in Guatemala eine Gewerkschaft zu gründen?
Um eine Gewerkschaft zu gründen sind zwanzig Mitglieder nötig. Doch das ist nur die eine Hürde, denn um als Gewerkschaft zu überleben, ist es nötig, gut organisiert zu sein, sich öffentlich artikulieren zu können, eine große Mitgliederzahl zu haben und geeint zu sein. Mit zwanzig Mitgliedern hat eine Gewerkschaft in Guatemala keine Chance, sie wird schnell wieder verschwinden. Wir als SNTSG haben es im August 2013 geschafft, einen neuen Tarifvertrag mit den offiziellen Vertretern auszuhandeln.
Ungewöhnlich war, dass der Präsident persönlich die unterzeichneten Dokumente auf einer Gewerkschaftsversammlung präsentiert hat ...
Ja, das hat es in der guatemaltekischen Geschichte so wohl noch nicht gegeben, denn das ist ein Signal an die antidemokratischen Strukturen in Guatemala. Seht her, der Präsident hält sich an die demokratisch fixierten Vorgaben! Und damit sind wir bei einem grundsätzlichen Problem: In Guatemala gibt es viele Unternehmer, die wenig bis gar nichts von den Arbeitsrechten und den Gewerkschaftsrechten halten.
Ein Grund, weshalb neue Gewerkschaften auch schnell wieder verschwinden?
Definitiv. Im Arbeitsministerium gibt es eine lange Liste mit gewerkschaftlichen Neugründungen, aber am Ende des Jahres sind es oft nur ein, zwei Gewerkschaften, die übrigbleiben und in aller Regel kaum wachsen. Es gibt nur wenige Gewerkschaften, die sich weiterentwickeln.
Warum? Welche Hürden gibt es?
Guatemala ist ein sehr konservatives Land, ein Land, wo Militärs und sehr einflussreiche konservative Unternehmer den Ton angeben. Da gibt es viele Widerstände und es ist nicht einfach, eine Gewerkschaft aufrechtzuerhalten. Die Zahl der Morde an Gewerkschaftern belegt diese Tatsache. In den letzten zehn Jahren wurden 16 oder 17 SNTSG-Genossen ermordet.
Warum ist der Widerstand, gewerkschaftliche Grundrechte in Anspruch zu nehmen, in Guatemala so ausgeprägt?
In Guatemala denken viele Unternehmer wie ein Gutsherr auf einer Hacienda, sie bestimmen und dulden keine andere Organisation neben sich. Dabei scheuen sie keine Mittel und wichtig zu erwähnen ist, dass es nur 20 bis 30 Familien in Guatemala sind, die die Geschicke des Landes bestimmen. In vielen der großen Unternehmen des Landes gibt es keine Gewerkschaften. Es herrscht eine absolutistische Mentalität.
Welche Bedeutung hat die Internationale Solidarität?
Für uns ist sie überlebenswichtig. Ohne die Visite der Internationalen Gewerkschaft für öffentliche Dienstleistungen (PSI), die im letzten Jahr Guatemala besucht hat, wäre unsere Situation sicherlich deutlich schwieriger. Es hat Gespräche mit dem Präsidenten gegeben, einen Dialog und das ist in Guatemala nicht selbstverständlich. Wir haben einen Schritt nach vorn gemacht.
Braucht es mehr derartige Initiativen?
Ja, ich halte es für sinnvoll ein internationales Monitoringzentrum aufzubauen, welches beobachtet, dokumentiert und Informationen über die gewerkschaftliche Realität in Guatemala weiterzugeben. Das wäre ein Fortschritt.
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