Dauert der Jubel keine zwei Tage?

Italien feiert nach dem Finalsieg über Frankreich den vierten Titel, schon heute könnten die ersten Urteile im Fußball-Skandal die Freude trüben

Italien rieb sich noch am Montag nach dem großen Finalerfolg verwundert die Augen: »Italia! Triumph beim Elfmeterschießen, das ganze Land ist im Delirium« konnten die Römer, Mailänder und Turiner nach einer durchjubelten und durchzechten Nacht in Corriere dello Sport lesen. »Es gibt nichts anderes zu sagen. Es gibt nichts zu kommentieren. Es gibt kein wenn und aber - Weltmeister!«
Die »Squadra Azzurra« feierte im Swimmingpool des Duisburger Mannschaftshotels bis zum Montagmorgen den 5:3-Erfolg über Frankreich im Elfmeterschießen des WM-Finales - einen Sieg, der im Verlauf des Berliner Finales am Abend zuvor mit fortschreitender Spielzeit immer unwahrscheinlicher erschienen war.
Nach einer überragenden ersten Halbzeit der Azzurri, in der Marco Materazzi nach einer Ecke von Andrea Pirlo in der 19. Minute per Kopf schnell den 0:1-Rückstand nach Zinedine Zidanes Foulelfmeter (7.) ausglich, hatten die Italiener immer größere Probleme, die immer stärker aufspielenden Franzosen mit den kaum zu kontrollierenden Thierry Henry und Frank Ribery zu bändigen.
Erst nach der Verlängerung, erst nachdem sich Zinedine Zidane per Kopfstoß längst höchstselbst in die Katakomben der WM-Geschichte befördert hatte, erst als der Ball wieder ruhte und das Elfmeterschießen begann, erst da hatte Marcello Lippis Team die Lage wieder unter Kontrolle: Pirlo, Materazzi, De Rossi, Del Piero und schließlich Grosso trafen vom Elfmeterpunkt für Italien, während der eingewechselte David Trezeguet für die Franzosen gescheitert war beim Versuch, Buffon zu bezwingen - er schoss an die Latte.
Als der Sieg feststand, tollten die »Campioni del mondi« wie kleine Jungs über den Rasen des Olympiastadions. Gennaro Gattuso entledigte sich im Jubel seiner Hose, Francesco Totti band sich die Fahne als Kopftuch um, »Gigi« Buffon genoß den Anblick sitzend im Klappstuhl eines Fotografen. Der vierte Titel nach 1934, 1938 und 1982 war geschafft, zum ersten Mal ein WM-Elfmeterschießen gewonnen worden und eine späte Revanche geglückt: Nachdem die Deutschen 1990 in Italien gewonnen hatten, entführten die Azzuri nun den Weltpokal aus den Händen von Bundespräsident Köhler direkt in die Vitrinen der Federazione Italiana Giuoco Calcio.
Nur einen Tag nach dieser Konfetti-Nacht droht Italiens Fußballverband schon der schlimmste Tag in seiner Geschichte: Heute abend oder spätestens morgen sollen die Urteile im Manipulationsskandal fallen. Dem hauptangeklagten Rekordmeister Juventus Turin, dem unter anderem die Weltmeister Cannavaro, Buffon, Del Piero, Zambrotta und Camoranesi angehören, droht der Abstieg in die 3. Liga (Serie C) und die Aberkennung der beiden letzten Titel. Auch AC Mailand, Lazio Rom und AC Florenz könnten in die 2. Liga zurückgestuft werden. Der Urteilsspruch des Sportgerichtes soll im Fernsehen übertragen werden.
Genugtuung wird das den traurigen Franzosen kaum bringen. »Wenn man im Elfmeterschießen verliert, ist das keine Niederlage, sondern wie ein Unentschieden«, versuchte Trainer Raymond Domenech zu trösten.
Zu Zidanes unansehnlichem Auftritt allerdings schwiegen alle Franzosen, der Trainer genauso wie die Mitspieler: Aus Betretenheit, aus Loyalität, aus Wut? Paralysiert, geschockt? Und gesehen hat selbstverständlich keiner die Aktion. Vielleicht war es einfach die Ernüchterung der gestandenen Profis, die sie gefasst wirken ließ. Selbst Unglücksschütze David Trezeguet zeigte sich schon kurz nach dem Abpfiff gelassen gegenüber den Journalisten: »Auch so eine Niederlage gehört zum Fußball.«

Italien: Buffon - Zambrotta , Cannavaro, Materazzi, Grosso - Camoranesi (86. Del Pierro), Gattuso, Pirlo, Perrotta (60. De Rossi) - Totti (60. Iaquinta) - Toni.
Frankreich: Barthez - Sagnol, Thuram, Gallas, Abidal - Vieira (56. Diarra), Makelele - Ribéry (100. Trezeguet), Zidane, Malouda - Henry (107. Wiltord).
Tore: 1:0 Zidane (7., Foulelfmeter), 1:1 Materazzi (19.). Schiedsrichter: Elizondo (Argentinien). Rote Karte: Zidane (110., Tätlichkeit). Zuschauer: 69 000 (ausverkauft).
Elfmeterschießen: 1:0 Pirlo, 1:1 Wiltord, 2:1 Materazzi, Trezeguet verschießt, 3:1 De Rossi, 3:2 Abidal, 4:2 Del Piero, 4:3 Sagnol, 5:3 Grosso.
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