Vom Stadion ins Studio

Ausstellung zu singenden Fußballern in Hamburg

  • Volker Stahl
  • Lesedauer: 3 Min.
Franz Beckenbauer hat es getan, Gerd Müller, Charly Dörfel - es folgten zahlreiche andere Kicker, die eine Schallplatte einspielten. Später trällerte die Nationalmannschaft »Fußball ist unser Leben«. Petar Radenkovic war der erste deutschsprachige Fußballbarde. Der exzentrische Torhüter von 1860 München intonierte 1965 »Bin i Radi, bin i König« und landete mit dem Dada-Song auf Platz 5 der deutschen Hitparade. Die Single verkaufte sich 400 000 Mal. Die Geschichte hiesiger und internationaler Fußball-Gesänge dokumentiert bis Ende Juli eine Ausstellung in der Plattenrille im Hamburger Grindel-Viertel. Die Betreiber des Fachgeschäfts haben nicht nur eine der umfangreichsten Sammlungen zum Thema Fußball und Musik zusammengetragen - sie fanden auch heraus, welcher Fußballer den Weg vom Stadion ins Studio als erster beschritt. Zu bestaunen sind mehrere hundert Plattencover, Fotos, Bücher, Wimpel, Programmhefte, Autogrammkarten und Fanartikel. »Müller erklärte seinen Zuhörern, wie man Tore schießt, Beckenbauer, dass gute Freunde zusammenstehen müssen - ansonsten handelte es sich samt und sonders um banale Schlager«, sagt Plattenrille-Chef Paul Löffler über die Texte, die oft gar nichts mit Fußball zu tun haben. Charly Dörfels Titel »Nur ein Kuss« sei ein gutes Beispiel dafür: »Man hat einfach Namen und Stimmen der Spieler genommen, ihnen ein Textblatt vorgelegt und sie ins Studio gezerrt. Die Produkte waren meist genauso gut oder schlecht wie die von Roy Black oder Peter Kraus, fielen nur musikalisch etwas ab.« Die Songs waren und sind meist von ergreifender Schlichtheit - eine unbedingte Voraussetzung für einen Hit, so Löffler. Der zur WM 1974 unter Anleitung von Udo Jürgens aufgenommene Song »Fußball ist unser Leben« sei »ein gut produzierter, aber banaler, von jedem gut mitsingbarer Titel«. »Ein echter Brüller eben.« Der DFB hatte anlässlich der WM 1974 zum ersten Mal einen Titel mit der Nationalmannschaft einspielen lassen. In England war es schon länger üblich, zu jeder Veranstaltung - WM, EM, Pokalfinale - Songs zu veröffentlichen. »Die wurden auch gespielt und gut verkauft«, weiß Löffler, der herausgefunden hat, dass der erste singende Fußballer vermutlich Ferenc Puskás war. Der Magyare spielte 1964, noch bei Real Madrid unter Vertrag, eine Platte mit Puszta-Zigeuner-Musik ein. Ungarisch gesungene Volksweisen, in Spanien veröffentlicht - die Scheibe floppte total. »Heute ist das Stück Vinyl mit einem Preis von 100 Dollar das teuerste Stück in unserer Ausstellung«, schmunzelt Löffler. Doch nicht nur die Jungs mit den strammen Waden singen aus voller Brust, auch die mit den prallen Bierbäuchen. Während der WM 1962 in Chile waren die britischen Fans von den temperamentvollen rhythmischen Gesängen der südamerikanischen Fans so tief beeindruckt, dass sie es in ihre Heimat mitbrachten. Kurz darauf erklang von den Rängen des berühmten Spion Kops, einer Stehtribüne des Liverpooler Stadions an der Anfield Road, die »Urhymne«. Dieses Wiegenlied der europäischen Fangesänge borgten sich die Fußballfreunde 1963 direkt aus den britischen Charts von der Mersey-Beat-Gruppe Gerry and the Pacemakers. Im Hamburger Millerntorstadion, wo der FC St. Pauli für seine Meistersinger extra eine »Singing Area« eingerichtet hat, hörte man die wohl ergreifendste Fußballhymne aller Zeiten zum ersten Mal in Deutschland. Sollte der Sieg nicht gelingen, weil die Helden dem übermächtigen »Feind« auf dem »Rasen der Ehre« unterlegen sind, hält der Refrain liebevolle Worte für die traurigen Verlierer bereit: »Walk on, walk on with hope in your hearts«, und es folgt ein heiliges Versprechen »You'll never walk alone«. Die Ausstellung »Tooooor! Goal! Goles!« über Fußball-Gesänge ist bis 30. Juli zu sehen. Plattenrille, Grindelhof 29, 20146 Hamburg, Mo bis Fr 11 - 19 Uhr, Sa/So 10 - 16 Uhr, Tel. 040/410 62 99, www.plattenrille.com
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