Handballmärchen aus Schnarup-Thumby

Fantastische Freude: Flensburg-Handewitt gewinnt die Champions League gegen den ärgsten Rivalen aus Kiel

  • Erik Eggers, Köln
  • Lesedauer: 3 Min.
Europas Handballkönige kommen von der SG Flensburg-Handewitt. Sportökonomisch ist das eine Sensation, sportlich nicht: Das Team spielt am schönsten.

Es war doch eine Fiktion, findet Manfred Werner. »Wenn man das als Drehbuch entworfen hätte, dann wäre diese Dramaturgie als zu fantastisch und unrealistisch abgelehnt worden«, sagt der 78-Jährige. Dass die SG Flensburg-Handewitt tatsächlich die Champions League gewann - im Finale gegen den großen Rivalen THW Kiel (30:28), im Halbfinale nach einem dramatischen Siebenmeterwerfen gegen den FC Barcelona, den erfolgreichsten Klub der Handball-Geschichte - »das ist«, sagt Werner sichtlich bewegt, »wirklich so was von unglaublich«.

Der ehemalige Personalchef der Feldmühle AG war 1990 einer der Motoren, als der heutige Klub aus einer Fusion der SG Weiche-Handewitt mit dem TSB Flensburg entstand. Seinerzeit war die Idee, sich irgendwann mit dem großen THW messen zu können, dem deutschen Vorzeigeklub schon damals. Ein Vierteljahrhundert später ist der THW die Messgröße: Die »Zebras« haben 19 Meisterschaften gewonnen, die SG eine (2004), die Kieler haben neun Pokalsiege auf dem Konto, die SG drei. »Dieses Duell hat beide Vereine hochgepuscht«, glaubt Werner, der bis 2011 in verschiedenen Funktionen für den Verein gearbeitet hat und SG-Ehrenmitglied ist. »Aber das eigentliche Wunder ist, dass wir seit zwei Jahrzehnten in diesem schwachen wirtschaftlichen Umfeld dieses hohe Niveau spielen können.«

Das Team um Kapitän Tobias Karlsson, dem furchtlosen Anführer aus Schweden, hatte hemmungslos gefeiert im Hotel Flamingo Royal in Köln, und am Montag, nach dem Rückflug, auf dem Südermarkt im Herzen Flensburgs. 85 000 Einwohner hat die nördlichste Stadt der Republik. Hier und in Dörfern wie Schnarup-Thumby und Hürup existiert eine überaus lebendige Handballkultur, und hier wird seit über acht Jahrzehnten als David gegen die Kieler Übermacht gekämpft, weshalb dieser Sieg bei den Fans einen noch höheren Stellenwert besitzt. »Für uns Profis ist dieser Titel ein großer Moment, aber für unsere Fans ist das alles noch viel größer«, weiß Karlsson.

Der Raum begrenzt hier die Mittel. »Im Norden ist Dänemark«, sagt Werner, »und im Süden ist der Nord-Ostsee-Kanal unsere natürliche Grenze, das Gebiet südlich davon ist THW-Land.« Große Industrieunternehmen sind im Landesteil Schleswig nicht angesiedelt. Während der Bundesligakonkurrent Rhein-Neckar-Löwen just einen Vermarktungsvertrag mit IMG ausgehandelt hat, der pro Jahr gut sechs Millionen Euro einbringt, muss die SG diesen Betrag aus Zuschauererlösen und von vielen kleinen Sponsoren akquirieren.

Wenn die SG, die jahrzehntelang aus der Froschperspektive zu den Großen hinaufblickte, nun den weltweit größten Titel des Klubhandballs hält, ist das auch sportökonomisch eine Sensation. Die Sympathien fliegen dem Außenseiter aber auch deshalb zu, weil Flensburg-Handewitt in dieser Saison über lange Strecken den schönsten Handball spielte: blitzschnell, frech, kombinationssicher und auf technisch höchstem Niveau. Symbol dieses Hochgeschwindigkeitshandballs war der Kempa-Trick im Finale von Köln, den die Flügelspieler Lasse Svan Hansen und Anders Eggert zur 20:19-Führung aufführten.

Schon in der Bundesliga hatte SG-Trainer Ljubomir Vranjes mit diesem Stil vor Weihnachten die Kieler zerlegt, dann aber warfen Verletzungen den Klub zurück. Durch die Ausfälle bekam aber das 21-jährige Supertalent Jim Gottfridsson viele Einsatzzeiten, ohne die der schwedische Spielmacher im Finale nicht hätte so auftrumpfen können.

Der altgediente Funktionär Werner weiß aber auch, dass nun zwangsläufig Sehnsüchte nach einer zweiten Meisterschaft geweckt werden. »Dieser Sieg ist einerseits ein Signal für den deutschen Handball, dass nicht nur der THW gewinnen kann«, sagt er. »Andererseits ist dieser Titel für die SG auch eine Verpflichtung.« Nach diesem Film von Köln, das wäre in Hollywood nicht anders, verlangen die Fans nach einer Fortsetzung.

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