Andrej
Blatnik kommt 1963 zur Welt, in Jugoslawien, einem Staat, der seit knapp zwanzig Jahren vom Marschall regiert wird, dem väterlichen Tyrannen. Der Tyrann trägt weiße Anzüge oder genauso schneeweiße Uniformen. Er hat, so heißt es, das Land von noch schlimmeren Tyrannen befreit. Dass er später, nach Vertreibung der Besatzer, ein paar tausend Wehrlose töten ließ, darüber spricht man nicht. Nicht über die Höhlen im Karst, in die die Opfer gestoßen wurden, und nicht über die Lager für die Unbotmäßigen.
In Blatniks Kindheit herrscht - verglichen mit der Zeit des Weltkriegs und der der Bürgerkriege, die noch kommen sollten - so etwas wie Frieden in dem weiten Land, Ruhe. Friedhofsruhe sei das, meinen junge Leute wie
Blatnik. Er spielt in einer slowenischen Punkgruppe, und vermutlich mag er die Band »Laibach«, die dem System mit faschistoider Pose und totalitärem Pomp den Spiegel vorhält.
Tito aber inszeniert sich als Mittelpunkt der Weltpolitik; in Jugoslawien beherrscht er die Geschichte, den Kalender mit seinen Feiertagen, die Kinderlieder. 1980 stirbt er. Sein Reich zerbirst, doch der Schatten des Marschalls wird noch jahrzehntelang über den Trümmern liegen.
Die Alten kommen nicht los von ihm, nicht die Jüngeren, auch nicht die Protagonisten aus Andrej Blatniks zwei Romanen und den vielen Erzählungen.
Der Folio-Verlag hat einen zweiten Band mit Blatniks Kurzprosa herausgebracht, siebzehn lakonische Geschichten. Da sind sie wieder, die an den Gestaden einer absurden Welt gestrandeten Figuren, hilflos in führerloser Zeit, melancholisch nach der Entwertung der Mythen.
Diese Figuren: Die Mitglieder einer Band (Blatniks Band?) bei ihrem Auftritt in einem Restaurant, mit ihrer Ahnung, dass gleich etwas den monotonen, berauschenden Gleichklang stören wird, dass Rhythmus, Takt jäh auseinanderbrechen. Oder die Frau, die sich zwei tumben Polizisten vom Dorf und ihren Zudringlichkeiten ausgeliefert sieht. Oder der Architekt, jung, vom Ehrgeiz zerfressen, der keine feste Bindung will, aber nicht verhindern kann, dass eine Frau (nicht einmal sehr anziehend) Raum beansprucht und erobert - erst in seiner Wohnung, dann in seinem Leben.
Blatniks Figuren scheinen vom Normalzustand traumatisiert, vom täglichen Einerlei. Sie können sich nicht wehren, sie sind unfähig zur Kommunikation. Manchmal reden sie, doch sie sagen wenig. Und dann schweigen sie wieder. Und warten.
Andrej Blatnik: Der Tag, an dem Tito starb. Erzählungen. Aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof. Folio Verlag. 130 S., geb., 19,50 EUR.