Sportbetrug - ein langer Weg zum Straftatbestand

Profis, Breitensportler, Betreuer, Ärzte, Dopinghändler, die Pharmaindustrie und eine unzureichend ausgestattete Antidoping-Agentur

  • Stephan Fischer
  • Lesedauer: 7 Min.
Mit einem breit angelegten Antrag will die LINKE im Bundestag die Verabschiedung eines Antidoping-Gesetzes vorantreiben. Unterstützer gibt es viele - Probleme auch.

Da waren es nur noch drei: Für 2013 vermeldete die Nationale Anti-Doping Agentur Deutschlands (NADA) in dieser Woche lediglich drei positive Dopingbefunde - nach 8106 Kontrollen. In allen Fällen wurde ein Verfahren eingeleitet, zwei Radsportler letztlich freigesprochen, ein Behindertensportler für zwei Jahre gesperrt. 2012 wurden noch acht Sportler erwischt. Die NADA-Vorsitzende Andrea Gotzmann erklärt die niedrige Quote mit zwei Faktoren: der erfolgreichen Präventionsarbeit ihrer Agentur, die »eine Athletengeneration, die aufgeklärt ist«, hervorgebracht habe. Zum anderen funktioniere »das abschreckende System.«

Der Illusion eines dopingfreien Sports, egal ob in der Breite oder in der Spitze, gibt sich trotz der rückläufigen Befunde keiner der Teilnehmer der Konferenz »Rote Karte für Doping im Sport« hin. Für die Linksfraktion im Bundestag, die die Tagung in der vergangenen Woche im Berliner Reichstagsgebäude ausrichtete, führt an der gesetzlichen Bekämpfung von Doping kein Weg vorbei: Zu groß sind die gesundheitlichen Schäden, die es hinterlässt; zu stark untergräbt es die positiven Funktionen, die der Sport für die Gesellschaft durch Werte wie Respekt, Toleranz und Fairness haben kann. Nicht zuletzt Kinder und Jugendliche seien angesichts des Leistungsdrucks, auch im Breitensport, gefährdet.

»Der Sport allein kann dieses Problem jedoch nicht lösen«, heißt es in einem Antrag der Fraktion der LINKEN zu einem Anti-Doping-Gesetz, den sie noch vor der parlamentarischen Sommerpause beschließen und dem Bundestag vorlegen will. Mit dieser Bewertung ist die Partei nicht allein: Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hatte Ende Mai angekündigt, noch in diesem Jahr ein Anti-Doping-Gesetz vorzulegen, das den Betrug mit Hilfe unerlaubter Substanzen künftig unter Strafe stellt. Gedopte Athleten und Dopingärzte müssen demnach mit Geld- oder Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren rechnen. Auf die Selbstreinigungskräfte des Sports allein vertraut nach zahllosen Dopingfällen in fast allen Sportarten, zuletzt bei den Olympischen Spielen von Sotschi, niemand mehr.

Den Entwurf der LINKEN erläutert André Hahn, sportpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion. Als erstes müsse das Gesetz zwingend definieren, was unter Dopingmitteln und -methoden überhaupt zu verstehen sei. Damit seien laut Hahn »keine Kältekammern, keine Höhentrainingslager, auch nicht schmerzstillende Spritzen gemeint.« Tatsächlich ginge es um Substanzen und Techniken, die Leistung massiv steigern und wettbewerbsverzerrend wirken. Hier schimmert eine der ältesten Fragen der Dopingbekämpfung durch: Was genau denn Doping eigentlich sei?

Ein Problem, auf das während der Konferenz besonders Klaus-Michael Braumann, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention hinwies: »Wir möchten als Sportmedizin ganz dringend darum bitten, klare Definitionen herzustellen und nicht irgendwelchen emotionalen Entrüstungen als Doping nachzugehen.« Die Injektion einer lokalen Betäubung zur Schmerzbehebung bei Überlastungssyndromen, wie es sie zum Beispiel im Fußball gebe, sei seiner Ansicht nach unter bestimmten Bedingungen kein Doping: Moralisch würden diese medizinischen Handlungen jedoch sehr unterschiedlich bewertet, deshalb brauche es klare Regeln von der Politik. Definitionen dürften nicht aus einer emotionalen Betroffenheit erstellt werden: »Doping ist mittlerweile kein Kavaliersdelikt mehr und man muss sich darüber im Klaren sein, wenn man Dopingvorwürfe in den Raum stellt, kann man damit Karrieren schädigen und Menschen sozio-kulturell ächten, Athletinnen, Ärzte, Therapeuten und Funktionäre«, so Braumann.

Ein und dasselbe Mittel kann bei einem Sportler therapeutische, beim anderen leistungssteigernde Effekte erzielen, im Zweifel sogar beides. Auch der LINKEN-Entwurf sieht letztlich eine systematische Auflistung von Mitteln und Methoden in einer Anlage vor, die durch die Bundesregierung geändert oder ergänzt werden können. Für die Athletinnen und Athleten wäre dies neben den Verbotslisten und den tief in den Alltag eingreifenden Melderegeln der NADA und der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) der dritte Rechtsrahmen, dem sie Folge leisten müssten. Monica Hübner, Leistungssportlerin im alpinen Skibereich, unterliegt heute schon dem WADA-Code und ist im nationalen Testpool: »Für uns Athleten ist es, Entschuldigung, sauschwierig, den Überblick zu behalten. Allein für den WADA-Code müsste man wahrscheinlich Pharmazie studiert haben.« Wer das nicht beherrsche, sei als Athlet auch den Ärzten ausgeliefert.

Hübner hat sich gerade die Hand gebrochen, musste operiert werden. Welche Medikamente dabei verwendet werden durften? »Das übersteigt meine Kenntnisse als Sportlerin.« Selbst bei Schmerztabletten wie Aspirin gebe es schon Unterschiede. Die Übersicht zu behalten wäre bei einem zusätzlichen Code noch schwerer.

Verstöße gegen diesen hätten allerdings schwerwiegendere Folgen als die bisher von der nationalen und internationalen Sportgerichtsbarkeit verhängten Strafen wie die Streichung von Ergebnissen oder Wettkampfsperren: Durch die Festlegung von Straftatbeständen - angelehnt an das Betäubungsmittelgesetz - beim Handel mit Dopingmitteln, dem Verschreiben, der Herstellung sowie dem Besitz einer nicht geringen Menge an Dopingmitteln, die durch Gerichtsurteile definiert werden muss, würden Geld- und Freiheitsstrafen auch für Unterstützer und Mitglieder der Dopingnetzwerke möglich, die selbst keine Sportler sind. Sportlerinnen und Sportler, die sich durch Dopingmittel und -methoden in Wettkämpfen einen unlauteren Vorteil verschaffen, würden künftig über den Straftatbestand »Sportbetrug« belangt werden können. Im Falle der Geldstrafen soll sich deren Höhe nach dem LINKEN-Vorschlag an der Höhe des Einkommens orientieren, das unmittelbar oder mittelbar durch den Sport erzielt werden wird.

Für Trainings- und Wettkampfkontrollen ist in Deutschland die NADA mit ihren beiden von der WADA lizenzierten Dopinglaboren in Köln und Kreischa zuständig. Zur Zeit führt sie 23,7 Prozent aller Kontrollen - laut Lars Mortsiefer, Vorstandsmitglied der NADA, derzeit 9000 Kontrollen im Jahr - in Deutschland durch. Bis 2016 sollen es an dann alle Kontrollen sein, wie es auch der überarbeitete WADA-Code vorsieht, der 2015 in Kraft tritt. Die Befugnisse der NADA sind bisher allerdings beschränkt, obwohl Mortsiefer auch den bisherigen sportrechtlichen Regeln, Abschreckungspotenzial zuspricht. Das Sportrecht müsse aber mit dem Strafrecht eine noch engere Verflechtung eingehen, was der LINKE-Gesetzentwurf auch explizit vorsieht. »Systematisches Doping im Leistungssport muss durch den Staat ermittelt und mit aufgeklärt werden können«, konstatiert Mortsiefer. Eben weil die sportrechtliche Sanktionierung bei Hintermännern nicht oder zu kurz greife. Die NADA als privatrechtliche Stiftung habe außerdem keine Ermittlungsbefugnisse wie eine Staatsanwaltschaft oder eine Bundesbehörde. Durch die Übertragung öffentlicher Befugnisse wie im Falle des TÜV könnte dies zu ändern sein. Die LINKE sieht in ihrem Gesetzentwurf außerdem eine »Gewährleistung langfristiger Planungssicherheit durch angemessene finanzielle Ausstattung« der NADA vor. »Ab 2015 sind zur Erfüllung der NADA-Aufgaben 10 Millionen Euro nötig. Für 2014 sind 7,7 Millionen Euro vorgesehen«, erläutert Mortsiefer. Bisher ist die langfristige Arbeit durch die jährliche Budgetierung aber nicht gesichert.

Im NADA-Budget entsteht aufgrund der mangelnden Bereitschaft von Sponsoren eine Schieflage - das Modell der Drei-Säulen-Finanzierung des NADA-Budgets durch Politik, Sport und Wirtschaft steht seit langem in der Kritik der WADA. »Wir sehen kurz- und mittelfristig eher ein Zwei-Säulen-Modell: die Politik aus Bund und Ländern und auf der anderen Seite der Sport«, so der NADA-Vorstand abschließend, der aber auf Zuwendungen der Wirtschaft nicht verzichten will. NADA-Chefin Gotzmann sagt dazu: Die Sponsorensuche und die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft laufe besser als zuvor. »Wir sind noch nie so weit gewesen wie jetzt. Wir stehen nicht mehr als Bittsteller da, weil wir ein gutes Produkt anbieten können.«

Die geplanten gesetzlichen Regelungen betreffen nur Spitzensportler und -sportlerinnen, also jene, die mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, in Nationalmannschaften sind oder durch ihren Sport einen wesentlichen Anteil ihres Einkommens erzielen. Auf den Amateur- oder Breitensport sind diese Regeln aufgrund der fehlenden Kontrollmöglichkeiten nicht übertragbar. Für diesen Bereich verpflichtet der LINKEN-Entwurf den Staat, geeignete Präventionsmaßnahmen wie Aus- und Weiterbildungen von Sportlern und deren Umfeld zu entwickeln. Besonderen Wert legt die Linksfraktion außerdem auf den Jugendschutz: Der »Verkauf und die Weitergabe von leistungsstärkenden und gesundheitsgefährdenden Nahrungsergänzungsmitteln und sporttypischen Aufbaupräparaten« an Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren soll verboten werden. Dieser Passage stimmten sowohl Lars Mortsiefer als auch Robert Bartko zu.

Bartko, der frühere Bahnradrennfahrer und Doppelolympiasieger von Sydney sowie jetzige Vizepräsident Leistungssport des Landesportbundes Berlin, verwies zum Abschluss der Konferenz auf die Verantwortung der Pharmaindustrie, die bei der Debatte um ein Anti-Doping-Gesetz aus dem Fokus zu rücken drohe: So überstieg laut Andre Donati, einem italienischen Sportwissenschaftler, im Jahr 2007 die Menge der jährlich produzierten Epo-Präparate, die eigentlich für Nierenkranke bestimmt sind, den tatsächlichen therapeutischen Bedarf um das fünf- bis sechsfache. Von Journalisten danach befragt, antwortete der Kommunikationsdirektor des Pharmaunternehmens Roche, Hans-Ulrich Jelitto: »Wir verkaufen unser Epo wie jedes andere Medikament an den Großhandel - was danach passiert, interessiert uns nicht.«

»Natürlich hat der Athlet eine Eigenverantwortung, aber er ist das letzte Glied in der Kette«, sagt Bartko. Für einen wirksamen Anti-Doping-Kampf dürfe der Fokus nicht allein auf die Sportler gerichtet sein. So schlägt er ein Verbot oder die Beschränkung des Onlinehandels mit bestimmten Medikamenten vor. Auch könnten in bestimmte Medikamente wie Epo, Bio-Marker integriert werden, die Schnelltests im Vorfeld von Wettkämpfen zulassen und dabei analog zu Drogenschnelltests Manipulationen aufzeigen, die dann im Nachhinein durch Urin- oder Blutkontrollen präzisiert werden können. Um an die Wurzel des Dopings zu kommen, sei viel mehr als ein Anti-Doping-Gesetz nötig, so Bartko abschließend.

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