Klinsmann geht - nach 712 Tagen ausgepowert

Sein Nachfolger als Bundestrainer Joachim Löw gibt als Ziel aus: »Wir wollen 2008 Europameister werden«

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Die Liebe einer ganzen Nation reichte nicht aus, um Jürgen Klinsmann zum Bleiben zu bewegen. Stattdessen löst er seine Beziehung zu Fußball-Deutschland nach zwei äußerst emotionalen Jahren wieder auf. Drei Tage nach Ende der rauschhaften WM 2006 trat der Bundestrainer den geordneten Rückzug an und machte den Weg frei für seinen Assistenten Joachim Löw. »Die Entscheidung war alles andere als einfach. Aber es war eine Entscheidung, die ich treffen musste. Es ist mein großer Wunsch, zur Familie und mit der Familie zur Normalität zurückzukehren. Ein wichtiger Grund ist auch, dass ich sehr viel Kraft gelassen habe. Ich fühle mich leer und ausgebrannt. Ich brauche erst einmal eine längere Zeit, um wieder meine Balance zu finden. Ich bin sehr glücklich, dass Joachim Löw die Aufgabe anpackt. Ich bin 1000-prozentig überzeugt, dass er dies schafft.« Mit diese Worten verabschiedete sich Klinsmann auf der Pressekonferenz am Mittwoch in der DFB-Zentrale in Frankfurt (Main) nach 712 Tagen im Amt als Bundestrainer, das er im Juli 2004 von Rudi Völler übernommen hatte. Es war ein emotionaler Abschied des 41-Jährigen. Sein letzter Kampf als Bundestrainer galt den eigenen Tränen, als er an seinen während seiner Amtszeit verstorbenen Vater erinnerte. Dabei gewährte der »Fußball-Reformer« einen ungewöhnlich persönlichen Einblick in die Stunden der Entscheidung. Nicht ins heimatliche Kalifornien, sondern nach Baiersbronn im Schwarzwald habe er sich nach dem Ende der WM zur inneren Klausur zurückgezogen und in ländlicher Einsamkeit seinen Entschluss endgültig gefasst. Der Knackpunkt, wieder komplett in die USA und zu seiner Familie zurückzukehren, war bereits der bittere K.o. im WM-Halbfinale gegen Italien. »Da ist der Gedanke schon gereift, dass ich die Kraft nicht mehr habe«, berichtete Klinsmann und bat mehrfach um Verständnis für seine Entscheidung. »Da fällt man in ein Loch«, sagte er. Trotz des Abschieds will Klinsmann weiter in engem Kontakt mit seinem Nachfolger Joachim Löw stehen, den er mit seinen Lobeshymnen praktisch ins Amt gehievt hat. Damit sein Schatten nach der WM-Euphorie und Platz drei für seinen früheren Assistenten nicht zu groß ist, forderte er: »Man muss sich von der Person lösen.« Wichtiger sei, dass mit Löw die offensive Spielphilosophie und die zahlreichen von ihm angestoßenen Veränderungen im deutschen Fußball fortgeführt würden. Den Kontakt zur Mannschaft und zum Trainerstab werde er sich nicht nehmen lassen. Klinsmann, der ein halbes Jahr Urlaub machen will, versicherte, keine anderen Trainerangebote annehmen zu wollen. In der Wahlheimat USA war der Schwabe zuletzt mehrfach als Nationalcoach gehandelt worden. Ganz tatenlos will er aber auch nicht sein und sich ab sofort mit seinen beiden Geschäftspartnern wieder um seine Firma »soccer solutions« kümmern. Er schloss eine Rückkehr als Bundestrainer aber doch nicht ganz aus. »Ich weiß nicht, was 2010 oder 2014 ist. Ich bin kein Hellseher.« Sein Nachfolger Joachim Löw äußerte auf der Pressekonferenz: »Ich möchte mich bei Jürgen bedanken. Es waren zwei unvergessliche Jahre. Ich freue mich sehr auf meine neue Aufgabe. Das ist eine große Herausforderung, den Weg weiterzugehen. Das ist unabdingbar. Nur so können wir dauerhaft in der Weltspitze bleiben. Es ist wichtig, dass wir es schaffen, dass die jungen Spieler nicht in ein Loch fallen. Wir wollen eine erfolgreiche EM-Qualifikation spielen. Das Ziel ist, dass wir Europameister 2008 werden wollen.« Der Geschäftsführende DFB-Präsident Theo Zwanziger, der am Vorabend in Baiersbronn »nur für zwei Minuten« versucht hatte, Klinsmann noch umzustimmen, überschüttete den scheidenden Bundestrainer mit viel Lob: »Wir sind Jürgen Klinsmann in hohem Maße dankbar für das, was er geleistet hat. Es herrschte in unserem Präsidium Einigkeit, dass ein Höchstmaß an Garantie vorhanden sein muss, dass die Spielphilosophie fortgesetzt wird. Deswegen war es klar, dass wir den Weg mit Joachim Löw weitergehen wollen. Unser gemeinsames Ziel ist es, dass wir in zwei Jahren Europameister werden.« dpa/sid/ND
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