Es barockt im Herzen Brasiliens
Die Goldgräberregion in Minas Gerais zeigt, woher sie ihren Namen hat. Von Beate Schümann
Und doch ist alles Gold, was glänzt. Jedenfalls hier in der Pfarrkirche Nossa Senhora do Pilar von Ouro Preto. Vom Boden bis unter die Decke sind die Holzschnitzarbeiten von feinstem Blattgold überzogen. Wer immer mit der Waage daneben gestanden hat: 434 Kilogramm des edlen Metalls sollen in diesem Gotteshaus verarbeitet sein. Das macht sie zu einer der reichsten Goldkirchen Brasiliens, und Goldkirchen hat das Land nicht viele.
Brasilien hat Geheimnisse, die man erst jenseits der Palmenstrände lüftet. Eines offenbart sich im Bundesstaat Minas Gerais, einer Gegend mit goldenem Boden. Auf engem Raum häufen sich barocke Städte, Prachtbeispiele der Kolonialarchitektur, die an eine glänzende Vergangenheit erinnern. Im Herzen des Landes barockt es. Der Zauber überkommt einen in Ouro Preto. Wie in keiner anderen Goldgräberstadt verwandelte sich hier der Goldrausch des 17. Jahrhunderts in Kunst. In der Altstadt reihen sich prächtige Kirchen, elegante Paläste und farbig bemalte Stadthäuser aneinander, die steile Kopfsteinpflastergassen und belebte Plätze zusammenhalten, so dass man ihnen nur zu folgen braucht. Selbst die weiträumig geschwungene Berglandschaft im Hintergrund wirkt barock. Rom ist nichts gegen diese Vielzahl von Hügeln, die mit Gotteshäusern dekoriert sind. Mindestens elf Barockkirchen, eine schöner als die andere.
Deutlich zu erkennen, waren portugiesische Baumeister am Werk. Sie entwickelten einen eigenen Stil, den »Barroco Mineiro«. Getragen vom Goldboom zimmerten, schnitzten, meißelten und malten sie in Überfluss und Überschwang. Der bekannteste Meister des Minas-Barock war der Bildhauer António Francisco Lisboa (1738-1814), Aleijadinho (»Krüppelchen«) genannt, weil er an einer Lepra-ähnlichen Krankheit litt. Trotz seiner verkrümmten Hände schuf er Altäre und Skulpturen von einer Schönheit, die es mit Werken von Balthasar Neumann oder Tilman Riemenschneider ohne weiteres aufnehmen. »Seht, seht«, soll er gesagt haben, »seht, wozu ich fähig bin.« Sechs Kirchen in Ouro Preto tragen seine Handschrift. Von überall blinzeln seine kleinen Lieblinge auf den Besucher herab, die pausbäckigen, wild gelockten Engel aus Speckstein, sinnlich, schwülstig. Den Händlern auf dem nahen Kunsthandwerkmarkt und in den Souvenirgeschäften sind die properen Flügelfiguren ohnehin die Liebsten. Sie finden rasenden Absatz.
Das städtische Foyer ist der Hauptplatz Praça de Tiradentes vor dem Gouverneurspalast. Mit den Touristen vermehren sich auch die selbst ernannten Stadtführer und Agenten der Diamantengeschäfte, alles moderne Glückssucher, die auf Opfer warten. In lauen Nächten treffen sich unter dem Tiradentes-Denkmal, dem Rebellen der brasilianischen Unabhängigkeit, die Mineralogiestudenten der Bergbauakademie, Globetrotter zum Cachaça und Capoeira-Tänzer.
Das Gold erschöpfte sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Die Glücksritter zogen weiter, Ouro Preto fiel in Bedeutungslosigkeit. Als Besucher kann man das getrost als Glück betrachten, weil die Stadt fast unverändert und als Welterbe erhalten blieb. Selbst dem Nachbarort Mariana, zwölf Kilometer weiter östlich, sieht man die große Vergangenheit noch an. Die 52 000-Einwohner-Stadt war die erste Hauptstadt und Bischofssitz von Minas Gerais. Sie geht mit Touristen von Haus aus gnädig um, denn fast alle Sehenswürdigkeiten erreicht man fußläufig und bequem. Gegenüber vom alten Rathaus wetteifern die Karmeliter- und die Franziskanerkirche um den Rang der Schönsten am Platz. In der Rua Direita protzen zweistöckige Bürgerhäuser mit schmiedeeisernen Balkonen, schön gerandeten Türen und Guillotine-Fenstern. So viel Geld war da, dass sich die Bewohner 1701 für ihre Kathedrale eine Arp-Schnitger-Orgel aus Deutschland leisteten. Von den 964 Orgelpfeifen bis zu den Registern war alles auf Maultieren von der Küste ins Gebirge geschafft worden. Nach einer aufwändigen Restaurierung sind ihre göttlichen Klänge wieder zu hören.
Hätte Congonhas do Campo, 90 Kilometer weiter, nicht die Wallfahrtskirche Senhor Bom Jesús de Matosinhos, viele Besucher würden die unansehnliche Kleinstadt wohl umfahren. Doch sie birgt den von der UNESCO geadelten Schatz, die Pilgerstätte auf der Gipfelspitze des Berges Morro Maranhão. Den mühevollen Aufstieg zur Basilika versüßen Pilgern und Touristen die sechs Kapellen, die 52 Zedernholzfiguren von Aleijadinho zieren. Der eigentliche Blickfang ist jedoch oben die Terrasse mit den lebensgroßen Propheten, dem letzten großen Werk des Künstlers. Als er Jonas, Zacharias und die anderen zwischen 1800 und 1805 aus den »Lavabo«-Specksteinblöcken meißelte, gaben die Goldminen kaum noch etwas her.
Gut 110 Kilometer südlich liegt São João del Rei. Den Glanz von einst hat die 82 000-Einwohnerstadt an nackte Betonbauten und eintönige Häuser verloren. Selbst der Igreja de São Francisco de Assis, dem barocken Highlight, konnten die Denkmalschützer kein gemütlicheres Umfeld bewahren. Stattdessen haben sich Königspalmen vor der Aleijadinho-Kirche aufgerichtet, wie ein Schutzschild vor dem tosenden Verkehr und der modernen Zeit. Der Fan des Minas-Barock muss sich zu den schönen Seiten der Stadt vorkämpfen, zur Kathedrale mit den Goldaltären, der Karmeliterkirche und den prächtigen Herrenhäusern.
Ortskundige empfehlen, mit dem Zug in das vierzehn Kilometer entfernte Tiradentes zu fahren: Eine nostalgische Reise in den wohl idyllischsten Goldgräberort von Minas Gerais. Am Wochenende steht die schwarze »Maria Fumaça« Funken sprühend am alten Bahnhof. Um zehn Uhr setzt sich die »rauchende Maria«, wie die Brasilianer die alte Baldwin-Lok nennen, in Bewegung und zuckelt auf der historischen Bahnstrecke durch die grüne Bergwelt der Serra de São José. Eine gute halbe Stunde später kommt das Dampfross im 18. Jahrhundert von Tiradentes an.
Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein. »Charretes«, die typischen Pferdekutschen warten an Tiradentes Bahnhof auf Gäste. Wenn die Speichenräder über die groben, blank polierten Natursteine in den Ort holpern, weiß man schnell, warum man sich früher vor der Fahrt Hals- und Beinbruch wünschte. Doch authentischer geht es nicht. Im Altstadtkern, wo keine Autos fahren dürfen, ist alles so, wie es am Ende des Goldrausches wohl war - nur mit frisch gekalkten Fassaden, neu umrandeten Türen und Fenstern und reparierten Ziegeldächern. Tiradentes bringt es auf immerhin acht barocke Kirchen und Kapellen. Die Igreja Matriz de Santo António steht im Prunk der Pfarrkirche von Ouro Preto kaum nach: nur 34 Kilogramm weniger Gold schimmern hier von den Altären.
In Saus und Braus wie damals lebt in Tiradentes heute keiner mehr. Nur manchmal begegnet einem noch ein zerzauster Glücksritter, der sein bepacktes Maultier am Zügel zur Schürfstelle führt, zu einer versiegten Hoffnung.
Infos:
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