Zeigen, was man denkt

Der Maler Horst Sakulowski bildet Leidenschaft und Leiden gleichermaßen ab

  • Doris Weilandt
  • Lesedauer: 4 Min.
Im Erfurter Landtag zeigt derzeit Horst Sakulowski eine Auswahl seiner Bilder. Seine Werke beschäftigen sich mit prinzipiellen Fragen der menschlichen Existenz.

Der »Christophorus« von 1987 steht programmatisch am Eingang der Exposition. Darauf trägt ein kommunistischer KZ-Häftling den gepeinigten Christus durch die Nacht. In der aussichtslos wirkenden Situation vereint die beiden ein gemeinsames Ziel, das durch den Gekreuzigten gewiesen wird. Die Hoffnung kommt aus dem kraftlosen Körper, das einzige Licht in einer seelenlosen Landschaft. »Urchristentum und Urkommunismus gehören zusammen«, erklärt Horst Sakulowski vor dem in altmeisterlicher Technik gemalten, sehr komplexen Bild. Solche prinzipiellen Fragen der menschlichen Existenz stehen im Zentrum seiner künstlerischen Tätigkeit. Gleich neben dem »Christophorus« hängt das »Selbstporträt mit Zähnen«. Äußerst vital und entschlossen zeigt sich der Künstler seinem Gegenüber, dem Mund weit aufgerissen. Die Zähne sind seine Waffen. Er ist bereit, das eigene Werk zu verteidigen, verbal versteht sich. Sakulowski sucht Kontakt zu den Besuchern. Vor allem mit den Nutzern des Hauses, mit Politikern des Erfurter Landtags, möchte er ins Gespräch kommen. »Ich glaube, es ist in diesem Haus ganz gut, wenn man zeigt, was man denkt«, sagt der Künstler. Deshalb hat er einer Einladung an diesen Ort zugestimmt und wichtige Arbeiten seines nunmehr fast fünf Jahrzehnte währenden Schaffens über mehrere Etagen im Atrium versammelt. Doch alle, die er anspricht, sind wegen seiner Bilder nach Erfurt gekommen. Manche von weither.

Vor allem in den großformatigen Zeichnungen offenbart sich die ganze Bandbreite der menschlichen Psyche. Mit dem Graphitstift schafft er eine ungeheure Tiefe seelischen Ausdrucks, die den Betrachter ganz gefangen nimmt. Bis an die Grenzen geht er mit dieser Technik, der er in der täglichen Arbeit den Vorzug vor der Farbe gibt. Extreme Anspannung findet sich auf den Gesichtern der Dargestellten, die mit »Figur« und einer Nummer bezeichnet sind. Mehrere Dutzende Blätter gehören inzwischen zu dieser Serie, die noch nicht abgeschlossen ist. Sakulowski erweist sich darin als zeichnerischer Virtuose. Strich für Strich arbeitet er sich an das Wesen heran, an die unverstellte Natur. Eindrucksvoll auch der Harlekin-Zyklus, mit dem er sich seit 2006 beschäftigt. Zwischen Vernunft und Wahnsinn agieren die Köpfe unter der Narrenkappe, wieder ist der Mund weit geöffnet, die Zahnreihen sichtbar. In den Gesichtern spiegeln sich Leidenschaft und Begierde ebenso wie stumme Resignation und Verschlagenheit. Harlekin ist Rebell und Zweifler, er wandert zwischen Freiheit und Anpassung in einer Gesellschaft, die sich von ihren moralischen Werten zunehmend verabschiedet.

»Die Bandbreite der Möglichkeiten, was man mit einem Bleistift machen kann, ist relativ groß«, urteilt Sakulowski über die Stellung, die die Graphitzeichnung in seinem Schaffen einnimmt. Immer wieder setzt er sich mit der Christusfigur auseinander, nicht aus religiösen Motiven. Ihn interessiert vielmehr der sterbliche Sohn Gottes als Symbol für Aufrichtigkeit und Unbeugsamkeit. Er zeigt ihn als widerständigen, schreienden, den Schmerz stumm ertragenden, aber auch als leidenden und vom Tod gezeichneten Menschen. Es ist die Suche nach Allgemeingültigem, nach ungebrochener Menschlichkeit. Auf dem Ölbild »Passion« ist ein Christus zu sehen, dessen Körper deutliche Folterspuren aufweist. Ohne Kreuz steht er in klassischer Pose, nur von Stricken gehalten. Wie bei seinem Renaissancevorbild Matthias Grünewald ist das Leiden sehr real.

Sakulowski hat viel über die eigene Vergangenheit nachgedacht, über prägende Situationen. Dazu gehört das Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Bernhard Heisig bleibt für ihn ein wichtiger und anregender Lehrer. Dass die erste freiberufliche Station in Weida sein Lebensmittelpunkt bleiben würde, war zunächst nicht vorgesehen. Das »Porträt nach Dienst« von 1979, mit seiner Frau als völlig erschöpfter Ärztin, verrät den Hintergrund der Entscheidung. Das Bild der Antiheldin sorgte auf der VIII. Kunstausstellung für heftige Diskussionen. Die wünscht sich Sakulowski heute wieder: objektiv und nicht als Pauschalurteil über DDR-Kunst. Zum 70. Geburtstag vergangenes Jahr hat er sich »Non-finito« auf die Mütze drucken lassen. Der »Unvollendete« geht seinen künstlerischen Weg unbeirrt weiter.

Noch bis zum 30. Juni ist die Ausstellung »Weltbild« im Thüringer Landtag (Jürgen-Fuchs-Straße 1, 99096 Erfurt) zu sehen.

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