Zwei «ohne» bei den harten Kerlen

Wie «Hausfrauen für Verteidigung» den Westen fit machen für neue weltweite Militäreinsätze

  • René Heilig
  • Lesedauer: 7 Min.
Seit Ende vergangener Woche ist ein niederländischer Kampfverband Teil einer deutschen Elite-Division. Angesichts der europäischen Geschichte und aktueller globaler Konflikte ist das militärische Tamtam im hessischen Stadtallendorf mehr als Symbolik, meint René Heilig.

«Guten Tag, heiß heute ...» Welch blöde Art, sich anzuschleichen! Doch es ist nicht einfach, mit jemanden ins Gespräch zu kommen, von dem man gerade einmal die Nasenspitze und wenige Quadratzentimeter Stirn sieht. Das Gegenüber strafft sich: «Wir halten's aus». Schweigen. Tolles Interview! Der Reporter versucht durch virtuelles Abtasten zu recherchieren: Sonnenbrille über der Kampfbrille, Helm mit Kamera, G36-Sturmgewehr, diverse Magazine, Pistole, Kampfweste, Funkgerät. Deutschland-Fähnchen am Ärmel, ohne Dienstgradabzeichen, an der Brust kein Namensschild. «Sie sind sicher vom Kommando Spezialkräfte?» Wieder strafft sich das Fleckentarn-Gegenüber: «So ähnlich.» Schweigen. Die Worte klingen nicht unfreundlich. Also, letzter Anlauf mit Blick auf die Montur: «Was wiegt das alles in allem? »Zwanzig Kilo, wenn wir die Akkus mitschleppen müssen, noch mehr.«

Na gut, mag er alleine weiterschwitzen, hier im Herrenwaldstadion von Stadtallendorf. Die Bundeswehr, genauer die Division Schnelle Kräfte, deren Stab vor den Toren der Stadt Quartier nimmt, hat eingeladen zum großen Tamtam. Die aus anderen Eliteverbänden im Rahmen der Bundeswehr neu aufgestellte Truppe stellt verschiedene Hubschrauber und Wieselpanzerchen aus, zeigt Nahkampfübungen und lässt mehrmals am Tag Fallschirmjäger vom Himmel fallen.

Beifall. Die Gäste sind handverlesen: der Bürgermeister, Stadtverordnete, der Landrat wird ebenso begrüßt wie Abgeordnete aus dem Bundestag. Reservisten stolzieren herum: »Herr Doktor, wie schön ...« »Hallo, Herr Kamerad, noch bei den Panzern? Hö, hö, die werden ja abgeschafft ...«

Herr, gib' nicht auch noch Pickelhauben aus! Manche in gutem Zwirn sehen wahrlich aus, als wären sie Urenkel von Diederich Heßling und aus Heinrichs Manns »Untertan« entsprungen. Manche führten eine frisch frisierte Gattin am Arm und/oder - wie putzig - etwas kleines Wolliges an der Leine. Das dann mit Gekläff die Sprengstoffhunde der reichlich aufgebotenen Polizei provoziert.

Fleißige Damen der Garnisonstadt haben Kuchen gebacken: »Möchten sie lieber Apfel oder Aprikose?« Daneben werden Bratwürste auf dem Grill gebräunt. Die Sportplatzkantine übt schon mal den dezentralen Bierverkauf. Schließlich treffen sich die Fußballfans der Region demnächst zum Public Viewing bei jedem Deutschlandspiel.

Es gibt mehrere Gründe für das Spektakel auf und rings um den Fußballrasen. Erstens wollte man kundtun, dass die Umgliederung der Division Spezielle Operationen (DSO) zur Division Schnelle Kräfte (DSK) abgeschlossen ist. DSK, das Kürzel trägt die Truppe schon seit dem 1. Januar, doch erst jetzt ist die volle Einsatzbereitschaft erreicht.

Der Großverband ist die Elite der Bundeswehr. Mehr und moderner geht es nicht. »Es kam zusammen, was organisch zusammengehört«, betont der bisherige Kommandeur, Generalmajor Jörg Vollmer. Alle aus der Luft kämpfenden Verbände des Heeres sind zusammengeführt. Die Truppe, die nun von Brigadegeneral Eberhard Zorn geführt wird, ist in der Lage, gleichzeitig zwei räumlich voneinander unabhängige Operationen durchzuführen. Egal, an welchem Ort der Welt. Der Großverband von insgesamt 9500 deutschen Soldaten besteht aus diversen Luftlandetruppen, Kampf- und Transporthubschraubereinheiten, ihm untersteht das Kommando Spezialkräfte in Calw ebenso wie andere Spezialeinheiten. Die Soldaten sind kriegserfahren - besonders durch Einsätze in Afghanistan.

Das allein schon ist beachtlich. Doch seit dem Appell in Stadtallendorf hat die Divisionsführung zusätzlich 2100 Soldaten unterstellt bekommen. Deren Abordnung zog nicht - wie die deutschen Soldaten hinterm Schellenbaum und zum Preußischen Präsentiermarsch - ins Stadionoval ein, sondern sie folgte Dudelsackklängen.

Gemäß einem zuvor zwischen der Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und ihrer niederländischen Amtskollegin Jeanine Hennis-Plasschaert geschlossen Vertrag, ist die 11. Luchtmobielen Brigade der Niederlande nunmehr voll integriert in die deutsche Division Schnelle Kräfte. Das sei, so sagt von der Leyen in Stadtallendorf, »ein sehr starkes Zeichen für die Tiefe der Kooperation beider Länder«.

Nur die USA und Großbritannien haben militärische Verbände vergleichbarer Struktur. Und die Bundeswehr hat viel gelernt in Afghanistan, wo sie ohne US-Hubschrauberassistenz bei manchem Talibanangriff den Schwanz hätte einziehen müssen.

Die deutsche Ministerin absolviert ihr Programm konzentriert wie immer. Sie tritt auf wie die Chefin eines bedeutenden Konzerns, kümmert sich um die Arbeits- und Lebensbedingungen ihrer Mitarbeiter und vermeidet es, sich in die Nähe der »Produktionsinstrumente« ihrer Firma zu begeben. Durchaus möglich, dass sie Waffen eigentlich nicht ausstehen kann. Gerade deshalb - nur kein Fehltritt! Die Wegesränder sind voller Minen. Die Kanzlerin hat die mögliche Rivalin sehr genau im Blick. Und natürlich spürt von der Leyen die Arroganz, mit der ihr alte und neue Barras-Machos begegnen. Jüngst versuchte Ex-Generalinspekteur Harald Kujat, die blonde Ministerin, die besser ausgestattete Soldatenstuben verlangt, Kasernen-Kitas eröffnet und der zu geldgierigen Rüstungsindustrie die Stirn bieten will, zu einer »guten Hausfrau« zu degradieren, die nur »ihre Kinder versorgt«, aber von Militär keine Ahnung habe.

Hennis-Plasschaert von den niederländischen Rechtsliberalen tritt deutlich unbekümmerter auf als ihre deutsche Kollegin. General links, Oberst rechts, sie lacht, schäkert - um dann vor der angetretenen binationalen Truppe zu betonen, ihre nun den Deutschen unterstellten Soldaten seien »für ihre Aufgaben sehr gut ausgebildet, ausgerüstet und hoch motiviert.« Aber das wüssten die DSK-Kollegen ja, schließlich seien Einheiten beider Staaten schon gemeinsam in manch fremden Land unterwegs gewesen. Sie sprach von Bosnien, nannte Kosovo und Mazedonien, betonte den Schulterschluss in Afghanistan und in der Türkei, verwies auf aktuelle Operationen auf dem afrikanischen Kontinent.

Auch Hennis-Plasschaert versuchte man zu Beginn ihrer politischen Karriere im EU-Parlament als »Blondchen« zu behandeln. Doch spätestens, seit sie dafür sorgte, dass das sogenannte SWIFT-Abkommen - bei dem die USA angeblich zur Terrorabwehr zusätzliche Daten über den Zahlungsverkehr in Europa abgreifen wollen - vom Europaparlament gestoppt wurde, weiß man, dass die 41-Jährige auch erfolgreich angreifen kann. Ihre Anschauungen sind jenen von der Leyens recht ähnlich. Hennis-Plasschaert sagt, es mache keinen Unterschied, »ob man ein Pimmelchen hat oder nicht«. Als Minister muss man nicht Experte sein. Sonst könnten den Job ja die Generale selbst erledigen.

Schnelle, schlagkräftige Operationen in der gegnerischen Tiefe, Kampf gegen - wie es heißt - irreguläre Kräfte, Erkundungskommandos zur Vorbereitung neuer Auslandseinsätze, Geiselbefreiungen, Evakuierungsoperationen, Such- und Rettungsdienst - das ist die in Stadtallendorf vorgestellte militärische Antwort der beiden NATO-Staaten auf internationale Krisen aller Art. Na dann: Glück ab! - wie es bei den Fallschirmjägern heißt.

Doch mit dem binationalen Appell in der hessischen Provinz sollte womöglich mehr erreicht werden. Derzeit wird viel und hinter verschlossenen Türen auch kontrovers über die zukünftige Ausrichtung der NATO debattiert. Die sogenannte Ukraine-Krise, also Russland, zwinge dazu. Nach anfänglichem Zögern hat sich der US-Friedensnobelpreisträger-Präsident Barack Obama vehement eingemischt. Er ordnete eine neue Art von Vorwärtsverteidigung an, gab damit NATO-Mitgliedern wie Polen Gelegenheit, die ständige Stationierung von Kampftruppen entlang der östlichen Bündnisgrenzen zu fordern. Zugleich soll vor allem Deutschland mehr Geld ausgeben für Rüstung und Soldaten, damit die neue drohende Eiszeit zwischen Ost- und Westeuropa auch wirklich nachhaltig wird.

Demgegenüber hat von der Leyen mehrfach betont, dass Deutschland die Verlegung von Kampftruppen nicht mittragen will und dass es nicht darauf ankommt, mehr Geld fürs Militär auszugeben. Man müsse das Vorhandene effektiver nutzen und das Bündnis besser organisieren. Die Division Schnelle Kräfte kann dabei eine Art Vorbild sein. Und dennoch ist sie auf dem falschen Weg.

Von alledem ist an diesem heißen Tag in Stadtallendorf freilich nicht die Rede. In einem Fußballstadion spricht es sich auch besser über, die gerade begonnene Weltmeisterschaft. Sogar auf Ministerebene. Wäre doch schön, wenn sich die Niederlande und Deutschland im Endspiel begegnen, meint von der Leyen unverhofft. Denn das könnte doch »zur Teambildung beitragen ...«

Das folgende Lächeln männlicher Uniformierter beider Länder kann nur als sehr gequält beschrieben werden.

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