Den halben Tag im Bus

Die iranische Nationalmannschaft begleiten allerlei Unwägbarkeiten

  • Frank Hellmann, Curitiba
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit 1998 wartet Irans Mannschaft auf den zweiten WM-Sieg. Das Basiscamp des Teams in einem Flughafenhotel macht dieses Vorhaben nicht leichter.

Es ist nicht lange her, da galt Curitiba als die Ausnahmestadt Brasiliens: fortschrittlich, modern und innovativ. Mit ihren Umweltschutz- und Nahverkehrsprogrammen war sie zeitweise selbst vielen europäischen Städten weit voraus, was auf die Verdienste des ehemaligen Bürgermeisters und späteren Gouverneurs des Bundesstaates Paraná, Jaime Lerner, Sohn eines deutschen Einwanderers, zurückging. Doch das Flair von einst verschwindet in der City mit seinen rund 1,8 Millionen Einwohnern an allen Ecken und Enden, weil Lerners Nachfolger das Vermächtnis nicht zu schützen vermochten. Immerhin: Es gibt noch deutlich weniger Staus als anderswo in Brasilien.

Genau der richtige Ort für die iranische Fußball-Nationalmannschaft, um endlich einmal halbwegs beschwerdefrei von A nach B zu kommen, wenn wie am Sonntag ein Abschlusstraining und am Montag in der auf den letzten Drücker fertiggestellten Arena da Baixada das erste Gruppenspiel gegen Nigeria anstehen. Wenn jemand ein logistisch ungünstiges Los für sein Basiscamp gezogen hat, dann wohl der krasse Außenseiter aus der asiatischen Konföderation. Wer aus dem Verband hat sich bloß für das Flughafenhotel in Guarulhos im Bundesstaat Sao Paulo entschieden, das so weit weg von der zugeteilten Trainingsstätte liegt, dass die Fahrt dorthin meist mehr als zwei Stunden dauert?

Trainer Carlos Queiroz, ein Weltenbummler, der schon in den USA, Japan, England, in den Emiraten, Südafrika und Spanien arbeitete, scheute sich nicht, gleich mal wieder verbal auf die heimischen Funktionäre einzuprügeln. Der 61-jährige Portugiese, der als Entdecker von Spielern wie Luis Figo oder Rui Costa gilt, ist ein streitbarer Geselle, der die oft amateurhafte Organisation in seinem Dachverband anprangert - auch auf die Gefahr hin, dass der ihn bald in hohem Bogen hinauswirft. Aber Queiroz muss ohnehin die Quadratur des Kreises versuchen: Die iranischen Fans überschütten das »Team Melli« an guten Tagen mit Liebe und Leidenschaft, doch meist wird vergessen, dass kaum einer von den Helden aus der Heimat internationales Niveau verkörpert.

Eine Ausnahme bildet der in Teheran geborene und in Berlin aufgewachsene Ashkan Dejagah, um dessen Zugehörigkeit zum Nationalteam es einst großen Wirbel gab, weil der für deutsche Nachwuchsteams eingesetzte Deutsch-Iraner immer wieder Einladungen absagte. Mittlerweile darf der 27-Jährige aber Irans Repräsentanten geben, der im Namen des ganzen Landes spricht, wenn er verkündet: »Wir treten nicht an und erwarten, dass wir das Turnier gewinnen, aber wir denken, dass wir einige Überraschungen schaffen können.« Eine diplomatische Antwort für eine Gruppe, in der Argentinien und Bosnien-Herzegowina die weiteren Gegner sind.

Unklar soll übrigens immer noch sein, wer im 934 Meter hoch gelegenen Curitiba das Tor hüten darf: Daniel Davari, der seinen Vertrag beim Bundesliga-Absteiger Eintracht Braunschweig nicht verlängerte, muss sich mit ständigen Vorwürfen auseinandersetzen, er sei nicht gut genug. Aber die Vorbehalte haben wohl auch damit zu tun, dass der in Gießen geborene Sohn eines Iraners und einer Polin immer noch fleißig Persisch pauken muss, um sich halbwegs verständlich zu machen. Vor seiner Nominierung war der 26-Jährige zuletzt als Zehnjähriger in dem Land gewesen. Dann nahm der Verband über den ehemaligen Bundesligaspieler Vahid Hashemian vor einem Jahr Kontakt auf, und nun ist Davari plötzlich mittendrin statt nur dabei.

Genau wie der in den Niederlanden aufgewachsene Reza Ghoochannejhad. Ihn entdeckte Queiroz beim englischen Zweitligisten Charlton Athletic, und der 27-Jährige sorgte in der Qualifikation überhaupt erst dafür, dass sich die Iraner zum vierten Mal nach 1978, 1998 und 2006 für eine Endrunde qualifizierten. Sollte dem draufgängerischen Mittelstürmer mit dem Zungenbrecher-Namen gegen Nigeria die Fortsetzung seiner famosen Torquote gelingen, könnte der Traum von einem WM-Sieg Wirklichkeit werden. Bislang gab es nämlich erst einen: 1998 ausgerechnet gegen den Erzfeind USA.

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