Nicht nur verlängerte Werkbank

Jena hatte in der DDR eine Sonderstellung, in heutigen Städte-Rankings liegt die Stadt wieder vorn - wie kommt das?

  • Harald Lachmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Jüngst jährte sich zum 125. Mal die Gründung der Carl-Zeiss-Stiftung in Jena. Auf sie ging die Blüte Jenas im 20. Jahrhundert zurück - und auch die Entwicklung nach der Wende.

Glaubt man dem Regionencheck des Magazins »Focus« zu den Themen Wohlstand, Jobs und Sicherheit, so rangiert Jena im Osten der Republik auf Platz 1 und national unter 402 betrachteten Städten und Landkreisen auf Platz 101. Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel sieht die Thüringer Stadt in puncto Lebensqualität auf Rang 5 unter 100 untersuchten deutschen Großstädten und eine Studie von »Capital« und Feri Institut platziert sie gar auf Platz 2 der bundesweit 60 wichtigsten Kommunen.

Fast die Hälfte der 13 börsennotierten Unternehmen im deutschen Osten sitzt in Jena. In der 107 000-Einwohner-Stadt haben 30 Prozent der sozialversichert Beschäftigten einen Hochschulabschluss, jeder zweite arbeitet in zukunftsträchtigen Branchen. Die Exportquote des verarbeitenden Gewerbes beträgt 56,3 Prozent, die Arbeitslosenquote sieben Prozent.

Der gute Ruf Jenas lockt neben gut 25 000 Studenten auch junge Familien an. Somit positioniert sich die Stadt mit 9,4 Geburten pro 1000 Einwohner nicht nur in Thüringen auf Platz 1, sondern liegt auch klar über dem Bundesdurchschnitt.

Und doch ist Jena, nüchtern betrachtet, nur bedingt Nachwendegewinner. Paradoxerweise geht es dabei gerade um jene Wurzeln, die in ihrer Nachhaltigkeit letztlich die heutige Dynamik ermöglichten. Die Rede ist von der Carl-Zeiss-Stiftung, die jetzt 125 Jahre alt wurde.

Nach einer wahren Blüte im frühen 20. Jahrhundert sowie einer stets herausgehobenen Stellung in der DDR - mit 30 000 Beschäftigten in 13 Betrieben - brachte die deutsche Einheit einen Bruch. Denn das Vorzeigeunternehmen Carl Zeiss Jena wurde zum Ableger der Carl Zeiss AG in Oberkochen in Baden-Württemberg - jedenfalls zu Teilen. Denn alles, was für die Schwaben nicht so sehr von Interesse war am alten VEB, versuchte sich ohnehin auf eigenen Wegen: Unter Federführung von Lothar Späth entstand so peu à peu die heutige Jenoptik AG als ein weltweit führender Optoelektronik-Konzern.

Die Basis hierfür schuf im Sommer 1991 eine Vereinbarung zwischen Treuhand, Baden-Württemberg, Thüringen sowie den Zeiss-Unternehmen in West und Ost. Jenoptik wurde damit Rechtsnachfolger des DDR-Kombinats und bündelte von diesem nun die Bereiche Optoelektronik, Systemtechnik und Präzisionsfertigung. Der Name »Jenoptik« war dabei nicht zufällig gewählt: Unter jenem Label lieferte bereits der VEB Carl Zeiss Jena seine Produkte gen Westen. Heute gliedert sich Jenoptik in fünf Hightech-Sparten. Das Unternehmen ging 1998 an die Börse und gründete im thüringischen Triptis ein eigenes Forschungszentrum für Optiken aus Kunststoffen. Größter Einzelaktionär des Konzerns, der 2013 seinen Umsatz um rund 15 Millionen auf etwa 600 Millionen Euro steigern konnte, ist indes mit 25,02 Prozent eine österreichische »Heuschrecke«.

Bis 1995 hielt Jenoptik auch noch 49 Prozent an der 1991 gegründeten Carl Zeiss Jena GmbH. Deren anfangs 2800 Mitarbeiter arbeiteten im optischen Kerngeschäft des Traditionsunternehmens. Seit 19 Jahren besitzt jedoch Carl Zeiss Oberkochen über die Zeiss-Stiftung alle Anteile am Thüringer Zeiss-Verbund, der sich inzwischen in vier Firmen gliedert. Neben der Carl Zeiss Jena GmbH sowie Teilen der Konzernforschung gehören hierzu die Carl Zeiss Microscopy GmbH, die Carl Zeiss SMS GmbH sowie die nun selbst börsennotierte Carl Zeiss Meditec AG.

Mit der Carl Zeiss Jena GmbH erfolgte zudem eine West-Ost-Verschiebung. Denn 2009, als der Konzern das Geschäftsfeld Planetarien übernahm, führte er auch die Produktions- und Technologiebereiche in Oberkochen und Jena zu jener neu strukturierten Firma zusammen. So logiert in Jena auch die zentrale Produktionsgesellschaft für Optik- und Mechanikfertigung der Zeiss-Gruppe. 2013 sicherte sie sich unter anderem Aufträge für sechs Großplanetarien in aller Welt.

Doch von den bundesweit 10 800 Zeiss-Beschäftigten sind nur noch 2000 am Gründungsstandort tätig. Es gab große Entlassungswellen, so 1991, als gleich 16 000 Zeissianer ihre Arbeit verloren. »Das war eine dramatische, eine bittere Zeit«, erinnert sich Jenas Oberbürgermeister Albrecht Schröter (SPD). Viele hätten »mit Tränen in den Augen zugesehen, wie Werksgebäude abgerissen oder zu einem Einkaufszentrum umgebaut wurden«.

Auch Zeiss-Vorstandschef Michael Kaschke verweist rückblickend auf »schwierige, kritische Jahre 1991 bis 1994«. Nicht alle Entscheidungen wären richtig gewesen, räumt er ein. Andererseits habe man auch die Mikroskopie von Göttingen nach Jena verlagert sowie alle Medizintechnik-Aktivitäten hier konzentriert.

Mithin trat eines nicht ein: dass Jena lediglich zur verlängerten Werkbank verfiel. Stattdessen sieht Kaschke hier heute »einen der dynamischsten und wachstumsstärksten Standorte der Unternehmensgruppe«.

Die ebenfalls sehr traditionsreiche Glasfertigung verschwand jedoch ganz. Nachdem die Schott AG trotz hoher Nachwende-Investitionen 2005 die Glasfertigung in Jena einstellte, wird Jenaer Glas nun im Bayrischen Wald geblasen. Die Carl-Zeiss-Stiftung, der auch Schott gehört, vergab die Marke an die Zwiesel Kristallglas AG.

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