Der wichtigste NSA-Standort in Europa
Dokumente aus dem Fundus von Edward Snowden enthüllen Deutschlands Bedeutung im US-Spionagenetzwerk
Der Standort Deutschland erfreut sich großer Beliebtheit bei Investoren aus aller Welt. Doch nicht nur Anleger interessieren sich für die Bundesrepublik. »Spiegel Online« veröffentlichte am Mittwoch 53 Dokumente aus dem Bestand des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden, die eindrucksvoll belegen, wie sehr die Amerikaner bei ihrer Schnüffelei auf die Deutschen angewiesen sind. So heißt es dort, die Bundesrepublik sei für den US-amerikanischen Geheimdienst NSA »der wichtigste Standort in Europa«. Nach Lektüre der Dokumente wird auch schnell klar, warum der US-Dienst sein »Germany« so sehr schätzt. Nicht nur, dass die eigene Spionage-Infrastruktur in den deutschen US-Kasernen untergebracht ist. Auch die Zusammenarbeit mit den Partnern vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und dem Bundesnachrichtendienst (BND) klappt einwandfrei.
So lobt die NSA ausdrücklich die Anstrengungen des BND, seine Kooperation mit dem US-Dienst »zu stärken und auszubauen«. Dabei wolle man den BND unterstützen, damit dieser wiederum anderen deutschen Diensten wie dem BfV dabei helfen könne, bei der Bekämpfung von »Terrorismus und Bedrohungen durch das Internet« effektiver zu werden. Wie diese Unterstützung in der Praxis aussehen könnte, zeigt ein weiteres Dokument. Demnach überließen die US-Amerikaner ihre Spähsoftware XKeyscore, die angeblich sogar »Verhaltensprofile« erstellen kann, auch dem Bundesamt für Verfassungsschutz. Der »technische Support« für die neue Software sollte nicht durch die NSA erfolgen, sondern durch den BND.
Die NSA versprach sich viel von dieser technischen Entwicklungshilfe. So hoffte man, dass die Deutschen dank XKeyscore »einzigartige Beiträge« in Form von Datensammlungen oder anderweitiger Spionage liefern könnten. Dazu zählte man auch Missionen von »höchster Priorität«. Explizit als Partner erwähnt ist hierbei das Bundesamt für Verfassungsschutz. Im vergangenen Jahr behauptete das BfV, XKeyscore laufe lediglich als Testversion auf einem einzelnen Computer, der zudem nicht ans Internet angeschlossen sei. Damit hätte man die amerikanischen Partner aber schwer enttäuscht. Schließlich haben diese den Kölner Schlapphüten die Software überlassen, damit diese ihre »Internet-Analysefähigkeiten verbessern«, heißt es in den nun veröffentlichten Dokumenten.
Wie dem auch sei: Die Deutschen zeigten sich erkenntlich für das US- Spionageprogramm und übergaben den Freunden aus Übersee ihre eigene Software MIRA4 und VERAS. Bereits im August 2013 berichtete der »Spiegel« über die begeisterten Reaktionen der NSA ob der deutschen Schnüffelprogramme. »In einigen Punkten haben diese Werkzeuge Fähigkeiten, die die US-Sigint-Möglichkeiten übertreffen«, zitierte das Nachrichtenmagazin damals aus Unterlagen Snowdens.
Die deutschen Dienste wiederum waren scharf auf die Fähigkeit der Amerikaner, Internettelefonate zu belauschen. Der jetzige Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Klaus-Dieter Fritsche, soll demnach im Januar 2012 um technische Hilfe gebeten haben, damit auch BND und Co. Telefonate via Skype abhören könnten. Offenbar verfügt die NSA über einen eigenen Zugang, den sie nicht gern mit anderen teilt. So empfiehlt der Autor des entsprechenden Dokuments, bei nochmaligen Anfragen der Deutschen zu Skype diese an FBI und CIA zu verweisen. Sprich: Man wollte die Partner abwimmeln.
Offenbar kooperiert die NSA auch mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), das die deutschen Nutzer eigentlich vor Bedrohungen und Spionage aus dem Internet schützen soll. So findet sich in den Dokumenten das Protokoll eines Besuchs von BSI-Vize Andreas Könen beim großen Bruder. Was Könen dort besprach, wurde leider nicht protokolliert. Dafür aber, wer seine Gesprächspartner beim NSA waren: Gleich mehreren NSA-Direktoren machte der Deutsche seine Aufwartung.
Tatkräftige Unterstützung erhalten die Geheimdienste dabei von der Bundesregierung. So habe diese ihre Interpretation des G-10-Gesetzes nachgebessert, »um dem BND mehr Flexibilität zu geben, beim Teilen von Informationen mit ausländischen Partnern«. Das G-10-Gesetz setzt den deutschen Geheimdiensten Grenzen beim Ausspionieren der eigenen Bürger. Dabei scheint der BND auch selbst dafür zu sorgen, dass diese Grenzen weniger eng gefasst werden. So habe der Geheimdienst daran gearbeitet, die Bundesregierung zu beeinflussen, die deutschen Datenschutzgesetze weniger streng auszulegen. Leicht verärgert muss die NSA eingestehen, dass die deutschen Gesetze einige Operationen behindert hätten. In diesem Zusammenhang loben die Amerikaner ihre deutschen Partner für ihre Bereitschaft, »Risiken aufzunehmen«. Klingt so, als würden BND und Co. bei ihrer Schnüffelei öfter mal bewusst gegen deutsche Gesetze verstoßen.
Nicht ganz neu, aber trotzdem interessant, ist die Auflistung aller US-Stützpunkte mit NSA-Personal in Deutschland. Demnach sitzen die Spione an mindestens zehn Standorten, etwa Augsburg, Bremerhaven oder Herzogenaurach. Das bayerische Bad Aibling ist ebenfalls aufgeführt. Dort betreibt der BND einen Horchposten, den NSA-Mitarbeiter ebenfalls nutzen.
Auch der Standort Berlin findet sich auf dem Dokument. Da sich in der Hauptstadt aber keine US-Kasernen mehr befinden, ist anzunehmen, dass man die Spione an der dortigen Botschaft untergebracht hat. Als im letzten Jahr bekannt wurde, dass die NSA auch das Handy von Kanzlerin Merkel belauscht hatte, vermuteten viele, dass der Lauschangriff aus der US-Vertretung am Brandenburger Tor erfolgte. Dass die US-Spione ein gesteigertes Interesse an der Kanzlerin hatten, zeigt der Umstand, dass sie allein bis Mai 2009 mehr als 300 Berichte über die Bundeskanzlerin sammelten. Zumindest legen das die neuen Dokumente nahe.
Nach langem Zögern ermittelt Generalbundesanwalt Harald Range inzwischen gegen die NSA wegen der Überwachung des Kanzler-Handys. Range will dafür auch Snowden-Dokumente einsehen, die deutschen Medien zugespielt wurden. Ob dazu auch die nun veröffentlichten Papiere gehören, wollte ein Sprecher der Bundesanwaltschaft am Donnerstag gegenüber dpa nicht kommentieren: »Strafrechtliche Ermittlungen werden nicht öffentlich geführt. Alle Informationen, die wir auf rechtlich zulässigem Weg erhalten können, beziehen wir natürlich mit ein.«
Auch Sicherheitsbehörden und Politiker hatten den »Spiegel« im Vorfeld um Einsicht in die 53 Dokumente gebeten. »Journalisten sind aber vor allem der Aufklärung der Öffentlichkeit verpflichtet - deshalb zeigen wir das Dossier öffentlich«, so die »Spiegel«-Redaktion. Lediglich Namen, E-Mail-Adressen, Telefonnummern sowie einige konkrete Spionageziele habe man geschwärzt.
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