Das war Dramatik pur

Bundestrainer Joachim Löw sieht eine gute Ausgangslage für das letzte Gruppenspiel

  • Lesedauer: 5 Min.

Wie haben Sie das zweite WM-Spiel von der Bank gesehen?

Wir wollten in der ersten Halbzeit kompakt und diszipliniert spielen, weil wir wussten, dass es natürlich unmöglich sein wird, bei diesen Bedingungen über 90 Minuten ein hohes Tempo zu gehen, ständig anzulaufen. Ghana musste versuchen, dieses Spiel zu gewinnen. Beide Mannschaften wollten taktisch gut organisiert sein. In der zweiten Halbzeit war es dann ein irrsinniges Tempo, das beide Mannschaften gegangen sind, ein offener Schlagabtausch. Wobei beide noch Möglichkeiten hatten, das Spiel für sich zu entscheiden. Wir haben eine gute Moral gezeigt, sind bei diesen Temperaturen nach dem Rückstand nochmal zurückgekommen.

Gerade diesen offenen Schlagabtausch wollten Sie eigentlich vermeiden. Warum ist das nicht gelungen?

Das Spiel hat sich irgendwie so entwickelt, obwohl das nicht so geplant war. Wir waren 1:0 in Führung, das war natürlich gut für uns. Ghana hat dann alles nach vorn geschmissen und permanent angegriffen. Sie haben drei Spieler, die vorn unglaublich schnell sind. Dadurch haben sie uns viel Raum gelassen zum Kontern. Wir haben es nicht immer geschafft, unsere Möglichkeiten abzuschließen und den Raum zu nutzen. Wir hatten einige Ballverluste, vielleicht durch die Hitze. Und dann gab es wieder Gegenkonter. Plötzlich waren wir im Rückstand und mussten alles nach vorne werfen.

Für die Zuschauer war die zweite Halbzeit eine super Unterhaltung. Was war es für Sie: Spaß oder Hölle?

Irgendwie beides. Für die Zuschauer war es in der zweiten Halbzeit ein unglaublich faszinierendes, schnelles und intensives Spiel. Das war Dramatik und Spannung pur. Weil beide Mannschaften bedingungslos auf Sieg gespielt haben. Bei beiden sind da auch Fehler passiert. Es ging hin und her. Nach Eckbällen oder Freistößen sind wir wieder in Kontersituationen gekommen, das war für uns brandgefährlich. Auf der anderen Seite hatten wir eine Vielzahl guter Möglichkeiten, die wir nicht genutzt haben. Für mich als Trainer war es ein Auf und Ab genau wie für die Zuschauer.

Philipp Lahm sind einige Fehler unterlaufen. Wie haben Sie das gesehen?

Das ist allen Spielern mal passiert, weil der Boden unglaublich hart und aufgrund dieser Temperaturen stumpf war. Man bleibt da hängen. Spieler, die eine enge Ballführung haben, die haben große Schwierigkeiten bei solchen Bodenverhältnissen. Beide Mannschaften waren aggressiv im Anlaufen, haben keinen Raum gelassen. Philipp passieren normalerweise sehr wenige Fehler, heute war es zwei-, dreimal so. Mit dem Platz hatten gerade die technisch guten Spieler das eine oder andere Problem - schon beim Training.

Wie sehen Sie jetzt die Ausgangsposition vor dem letzten Gruppenspiel gegen die USA?

Die Ausgangslage hat sich für uns nicht entscheidend geändert. Wir hätten sogar nach einem Sieg heute vielleicht damit leben müssen, dass wir im letzten Spiel nicht verlieren dürfen. Wir wissen, dass wir noch immer die gute Ausgangsbasis haben für das letzte Spiel. Mit einem Sieg oder einem Punkt wären wir auf jeden Fall in der nächsten Runde.

Sie haben Schweinsteiger gebracht. Was können Sie insgesamt zum Mittelfeldspiel sagen, bei dem es etwas gehapert hat?

Bei diesem Tempo und bei diesen Bedingungen ist Sami Khedira körperlich ein bisschen an die Grenzen gekommen. Alle Mittelfeldspieler mussten viel arbeiten nach hinten, mussten immer wieder die Räume zumachen. Deswegen war es gut, dass Bastian Schweinsteiger kam. Er und Miroslav Klose haben der Mannschaft schon nochmal einige frische Impulse gebracht und so neue Kräfte mobilisiert. Auch moralisch war das gut.

Und wo lagen die Probleme?

Wir kamen vor allem in der ersten Halbzeit nicht so in die Zwischenräume. Wir haben auch das eine oder andere Mal verpasst, nach einem Ballgewinn schnell zum Torabschluss zu kommen. Die Spieler im Zentrum mussten unheimlich viel arbeiten und lange Wege gehen. Sie mussten größten Aufwand betreiben in so einem Spiel.

Wie kommentieren Sie Kloses 15. WM-Tor?

Es freut mich wahnsinnig für Miro, dass er nach ein oder zwei Minuten auf dem Platz sein Tor gemacht hat, um mit Ronaldo gleichzuziehen. Das ist natürlich eine unglaubliche Leistung in der Karriere. Nach einer nicht so einfachen Saison für ihn, in der er einige Male von Verletzungen zurückgeworfen worden ist. Es ist natürlich super, wenn ich solche Spieler auf der Bank habe, die nochmal Entscheidungen herbeiführen können. Miro ist ein Spieler, der gerade in den großen Spielen auf den Punkt hin fit ist. Das ist für mich ein gutes Gefühl und auch für die Mannschaft sehr wichtig.

Denken Sie jetzt nochmals über ein System mit einem klassischen Stürmer Klose nach?

Klassische Neun oder falsche Neun ist für mich nicht das große Thema. Wir haben Spieler, die Tore erzielen können. Für mich ist es wichtig, wie wir in die Spitze reinstoßen. Götze hat wieder ein Tor gemacht. Miroslav Klose ist gekommen und hat der Mannschaft einen Schub gegeben. Die Spieler müssen heutzutage beweglich sein, müssen rochieren und ständig die Positionen wechseln. Klassische Stürmer gibt es für mich nicht mehr. Aufgezeichnet: Jens Mende, dpa

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