Befürchtete Filetierung
Französische Bahngewerkschaften brechen Streik bei der Staatsbahn ab
Von bundesdeutschen Bahngewerkschaften ignoriert, fand in Frankreich seit dem 11. Juni ein landesweiter politischer Streik bei der Noch-Staatsbahn SNCF statt, der am vergangenen Wochenende nach 13 Tagen ausgesetzt wurde. Stein des Anstoßes war eine von der sozialdemokratischen Regierung vorangetriebene Bahnreform, die am vergangenen Dienstag in der Nationalversammlung verabschiedet wurde und nun dem Senat vorliegt.
Mit der Reform, die sich an das Modell der Deutschen Bahn anlehnt, soll die für das Eisenbahnnetz zu ständige Infrastrukturgesellschaft RFF (Réseauferré de France) wieder unter dem Dach der SNCF-Gruppe angesiedelt werden. Damit soll eine Ausgliederung rückgängig gemacht werden, die auf Drängen der EU-Kommission Mitte der 1990er Jahre von einer konservativen Regierung eingeleitet und 1997 von der sozialdemokratisch geführten Nachfolgeregierung mit einem kommunistischen Verkehrsminister vollzogen worden war. Die künftige SNCF-Gruppe soll in die Bereiche SNCF (Holding), SNCF Mobilité (Transport) und SNCF Réseau (Netz) aufgespalten werden und sich dem von der EU vorangetriebenen vollständigen »Wettbewerb« öffnen.
Was wie eine Überwindung einer für das Gesamtsystem Eisenbahn schädlichen Spaltung aussieht, hat aus der Sicht vieler Eisenbahner gefährliche Nebenwirkungen. Sie befürchten, dass die Wettbewerbsöffnung eine Zerfledderung und Privatisierung nach britischem Modell bringt. Schon längst sind auch bei der SNCF die Weichen für eine »Zellteilung« durch Bildung von Tochtergesellschaften und eine Prekarisierung der Arbeit gestellt.
Die SNCF-Belegschaft wird derzeit von sieben Gewerkschaften repräsentiert, die nicht immer an einem Strang ziehen. Stärkste Kraft ist nach wie vor die traditionell kommunistische CGT Cheminots. Ihre wichtigste linke Konkurrenz bildet die nach einem wochenlangen Streik 1995 entstandene klassenkämpferische Basisgewerkschaft SUD-Rail. Jahrelang war das Verhältnis zwischen CGT und SUD-Rail, die zusammen über 52 Prozent in den Vertretungsorganen stellen und die Mehrheit der Eisenbahner repräsentieren, angespannt und von Abgrenzung geprägt. In den letzten Monaten kamen sich die aktiven Mitglieder beider Organisationen jedoch näher. Sichtbarer Ausdruck des Miteinanders war eine gewerkschaftsübergreifende Demonstration am 22. Mai in Paris gegen die Reformpläne der Regierung. Sie forderten die Rückkehr zur einheitlichen, öffentlichen und nicht auf Rendite ausgerichteten Eisenbahn, keinerlei Privatisierung und die Streichung der inzwischen auf 44 Milliarden Euro angehäuften Schulden.
Um dieser Bewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen, zeigten sich Regierung und SNCF-Vorstand zu kleineren »Nachbesserungen« am Gesetzesentwurf bereit und zogen so die Chefs mehrerer Gewerkschaften ins Boot. Auch Gilbert Garrel, Chef der CGT Cheminots, wollte einen solchen Deal eingehen und den Arbeitskampf abblasen. Er stand jedoch unter massivem Druck seiner Basis, die für ihre Forderungen streiken wollte. Es kam in den täglichen Streikversammlungen zum Schulterschluss zwischen CGT- und SUD-Rail-Aktivisten, die im Arbeitskampf keine Streikgelder bezogen und somit große Opfer auf sich nahmen. Was sie einte, war auch das Bewusstsein, dass Liberalisierung und Privatisierung nicht nur ihnen schaden, sondern einem sicheren, sozialen und ökologischen Eisenbahnwesen im Wege stehen. Dass gleichzeitig in Schweden Beschäftigte des Ablegers der französischen Privatbahn Veolia gegen Entlassungen, Lohnkürzungen und Prekarisierung streikten, wurde in Frankreich viel beachtet und bestärkte die Streikenden bei der SNCF in ihrem Widerstand. Am Ende votierten die Streikversammlungen für einen Abbruch des Arbeitskampfes. »Das ist keine Niederlage«, erklärte ein Fahrdienstleiter aus Ostfrankreich. »Regierung und Management hätten nie erwartet, dass der Streik überhaupt so lange andauern und zum Ausfall vieler Züge führen würde.« Das Engagement gehe weiter.
Was auch bleibt, ist die Erkenntnis, dass der Streik für die deutschen Bahngewerkschaften EVG und GDL wie auch für die Europäische Transportarbeiterföderation kein Thema war. Dabei standen Mitglieder von EVG, CGT und SUD-Rail noch am 25. Februar gemeinsam vor dem Straßburger EU-Parlament gegen die Politik. In diesem Sinne haben die Streikendenbei der SNCF jetzt ihren Kopf hingehalten. »Deutsche und französische Eisenbahner müssten zusammen streiken«, so ein Eisenbahner aus Lothringen gegenüber »nd«: »Wir sind dafür offen. Wir hätten die Kraft und könnten gemeinsam etwas bewegen.«
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