Das große Aufräumen danach
20 Jahre nach dem Truppenabzug tut sich Jüterbog schwer mit der Überwindung des militärischen Erbes
Muss denn wirklich jedes marode Gemäuer ein Denkmal sein? Ausgerechnet der Denkmalschutz brachte die Gemüter im wunderschön restaurierten Kulturquartier Mönchenkloster in der Jüterboger Altstadt in Wallung. Bei ihren Bemühungen, die verbliebenen knapp 10 000 Hektar der Westgruppe der Truppen zu vermarkten, stößt die Brandenburgische Bodengesellschaft (BBG) immer häufiger an Grenzen. Geht es doch bei diesen Restposten meist um abgelegene Liegenschaften, oft munitionsbelastet oder chemisch kontaminiert, mit verfallenden Bauten bestandene Areale, die sich zu allem Überdruss in der Nähe natursensibler Gebiete befinden und mit vielfältigen Auflagen versehen sind. Als beinahe noch schlimmer empfinden Kommunalpolitiker und Konversionsexperten, wenn der Denkmalschutz seine Hand über historische Bauten in exponierter städtischer Lage hält. Denn dann wird es auf lange Sicht sehr schwer, dort etwas für das Stadtbild zu tun.
Arne Raue, parteilos und seit 2011 Bürgermeister der 13 000 Einwohner zählenden Stadt Jüterbog im Landkreis Teltow-Fläming, kann ein Lied davon singen. Obwohl Garnisonsstadt, überstand Jüterbog den Zweiten Weltkrieg weitgehend unzerstört. Die Rote Armee ergriff 1945 von den militärischen Einrichtungen hier Besitz. Am Ende beanspruchte das sowjetische Militär 60 Prozent der Stadtfläche für sich. Erst seit dem Abzug der Truppen und der Aufgabe der Garnison wurde offenbar, wie sehr historische Bausubstanz, Infrastruktur und Umwelt in der Zwischenzeit gelitten hatten. Ganze Viertel waren heruntergekommen, Leerstand und Verfall taten ein Übriges. »Wie sollte der Bürgermeister von Jüterbog den Denkmalschutz nicht lieben, unsere Stadt lebt und zehrt davon«, versichert Raue. »Aber ich erlebe den Denkmalschutz auch als Last.« Er fügt hinzu: »Entwicklungen finden bei uns wegen des Denkmalsschutzes gelinde gesagt vorsichtig statt.«
Jüterbog wurde im Jahr 1007 erstmals urkundlich erwähnt und erhielt als florierendes Zentrum des Fernhandels 1174 das Stadtrecht. Bis 1815 sächsisch, wurde es nach dem Wiener Kongress Preußen zugeschlagen. Dass Jüterbog einmal wohlhabend war, kann man an stattlichen Kirchen, Türmen und Stadttoren sowie an den zahlreichen Fachwerkbauten ablesen. Große Geister wirkten einst hier: Thomas Müntzer, Reformator Philipp Melanchton und auch Feldherr Wallenstein. Doch nach den antinapoleonischen Befreiungskriegen ihrer Grenzlage beraubt, machte sich in der Stadt wirtschaftliche Not breit. Jüterbog lag dem König in den Ohren, durch die Einquartierung von Truppen zu Einnahmen und Beschäftigung zu verhelfen. Ab 1832 nahmen Soldaten Quartier. Jüterbog wurde für 160 Jahre Garnison. Bereits 1864 gab es einen eigenen Artillerieschießplatz vor Ort, doch erst mit Einrichtung der Artillerieschule 1889 und den Kasernen von Jüterbog II begann der Aufstieg zu einer der größten Garnisonsstädte des Deutschen Reiches.
Jüterbog, inmitten weiter Felder und Wälder gelegen, umgeben von großen Kasernen mit Exerzierplätzen, Magazinen, Depots und Truppenübungsplätzen, hatte schon unter des Kaisers Rekruten seinen Ruf weg als »Jammerbock« oder »Schleifacker«. Bald entstanden ein zweiter Schießplatz und das Neue Lager. Bei der Vorbereitung des Ersten Weltkriegs - hier wurde bis 1914 Krupps 42-Zentimeter-Mörser »Dicke Berta« erprobt - spielte Jüterbog eine zentrale Rolle. Im Kriegsverlauf wurden ein Luftschiffhafen in Altes Lager und ein Flugplatz in Damm angelegt. Das Lazarett wuchs beträchtlich.
Der Größenwahn der Faschisten, die 1939 den Zweiten Weltkrieg vom Zaun brachen, führte in den 1930er- und 1940er-Jahren zum gewaltigen Ausbau der militärischen Infrastruktur. Am Flugplatz Damm begann eine Fliegerschule zunächst noch verdeckt mit der Ausbildung von Personal für die Luftwaffe. Die ersten Versuche mit Raketenwaffen fanden auf dem Gelände der Heeresversuchsanstalt in Kummersdorf-West statt, und in Forst Zinna wurden Panzerbesatzungen ausgebildet und Kampffahrzeuge getestet. Die Versuchsstelle Gottow, nur wenige Kilometer entfernt, diente chemischen und physikalischen Versuchen. Hier entwickelten Wissenschaftler den ersten Atomreaktor der Welt. Doch der Traum von der Weltherrschaft war spätestens 1945 ausgeträumt. Nachdem am 18. April 1945 die Bahnanlagen bombardiert worden waren, besetzte die Rote Armee Jüterbog nahezu kampflos.
In und um Jüterbog sollen zeitweilig zwischen 40 000 und 70 000 sowjetische Soldaten stationiert gewesen sein, die Offiziere zum Teil mit ihren Familien. Ihre Anwesenheit prägte Rhythmus und Erscheinungsbild der Stadt. Am Ende erstreckten sich die militärischen Areale im Stadtgebiet auf mehr als 10 500 Hektar, davon 571 Hektar bebaute Fläche. Im Rahmen vertrauensbildender Maßnahmen hatte die UdSSR bereits im Mai 1989 die 32. Garde-Panzerdivision aus dem Raum Jüterbog abgezogen und in die Heimat verlegt. Der letzte Angehörige der Westgruppe der Truppen verließ die Region 1994. Als die Soldaten das vorher weitgehend gesperrte Jüterbog II 1993 verlassen hatten, wohnten dort nur noch 93 Menschen.
Der Bestandsaufnahme der Liegenschaften folgte unmittelbar die Bebauungsplanung. In einer Bilanz der Stadtverwaltung heißt es dazu: »Kaufinteressenten ließen nicht lange auf sich warten, zumal Jüterbog damals potenzieller Standort für den neuen Großflughafen war. Der Kauf der Flächen erinnert ein wenig an das Spiel ›Monopoly‹. Ganze Straßenzüge und Quartiere wurden en bloc gekauft.« Nicht nur im zivilen Quartier kam die Stadterneuerung zunächst gut voran. Auch etliche Kasernen wurden denkmalgerecht für gehobenes Wohnen saniert. Eine deutliche Aufwertung und bundesweite Bekanntheit erfuhr der Stadtteil durch die nahe Freizeitsportanlage Fläming-Skate sowie durch die Entwicklung des ehemaligen Truppenübungsplatzes Jüterbog als Naturschutzgebiet.
Dennoch ist Jüterbog II noch immer städtischer Problemfall. »Viele Faktoren haben dazu beigetragen, dass Jüterbog II vielleicht in den letzten Jahren bei der Stadtplanung und -entwicklung ein wenig in den Hintergrund getreten ist«, sagt Bürgermeister Raue. Künftig werde man sich dieses »wichtigen Konversionsstandortes« wieder stärker widmen. Verrottende Gebäude in unmittelbarer Nachbarschaft sanierter Wohnquartiere bergen nach 20 Jahren auch ein wachsendes Unfallrisiko.
Zu den hemmenden »Faktoren« zählt Raue vor allem den Denkmalschutz. Jüterbog trägt schwer am Erhalt und an der Nachnutzung wertvoller, aber oft schlecht erhaltener Denkmale. Rund 300 Gebäude und Gebäudeteile auf zivilen und Konversionsflächen sind in den Denkmallisten erfasst. Selbst mit deren Notsicherung ist die Stadt häufig finanziell und personell überfordert. »Wir arbeiten sehr gern und sehr gut mit der unteren Denkmalbehörde zusammen«, stellt Raue klar. »Allerdings wären wir mit etwas weniger oder maßvollerem Denkmalschutz mit der Vermarktung heute schon weiter. Und wir hätten vielleicht auch noch mehr Denkmale, die vernünftig saniert wären und dann auch besser aussähen als jene im jetzigen Verfallszustand.«
Und so sind Licht und Schatten dicht beieinander. Das alte Offizierskasino in Altes Lager beispielsweise wurde aufwendig saniert und ist heute ein beliebtes Kulturzentrum. Im Gebiet der früheren Fuchsbergkasernen entstanden schöne Wohnhäuser. Die einstige Fliegerschule in Niedergörsdorf dagegen ist weiter dem Verfall ausgesetzt. Und auch das ehemalige Garnisonslazarett in Neues Lager, vor 120 Jahren eines der modernsten seiner Art, wartet nur notdürftig gesichert auf einen Investor.
Insgesamt aber ist der Bürgermeister stolz auf die bereits geleistete Konversionsarbeit. Als Jüterbog 1994 die gewaltige Aufgabe in Angriff nahm, hatte man zunächst 40 ABM-Kräfte aufgeboten. Inzwischen sind 65 Millionen Euro in die Überwindung der militärischen Hinterlassenschaften geflossen, sagt Raue. Rund die Hälfte der bebauten Konversionsfläche wurde bereits behandelt. Solaranlagen bedecken weite Teile des alten Flugplatzes in Niedergörsdorf. Zu den jüngsten Erfolgsstorys zählt Raune die Grundwassersanierung im Bereich der ehemaligen Munitionsanstalt. »In den vergangenen zehn Jahren haben wir insgesamt 30 Tonnen Schadstoffe aus dem Grundwasser und aus dem Boden geholt.« Auch die Munitionsräumung habe weiter einen hohen Stellenwert, 2013 seien 85 Hektar Waldflächen geräumt worden.
Würde die Arbeit im bisherigen Umfang fortgesetzt, dann würde die Überwindung des militärischen Erbes jedoch, so schätzen Experten, noch 130 Jahre dauern. Darum nahm Raue die Zusicherung des brandenburgischen Wirtschaftsministers Ralf Christoffers (LINKE) mit Genugtuung auf, das Land habe die für 2014 beantragten fünf Prozent Landesmittel zur Kofinanzierung der Konversion bewilligt. Allerdings werde das Wirtschaftsministerium in der neuen EU-Förderperiode 2014 bis 2020 aufgrund der engen Vorgaben der EU keine eigene Förderrichtlinie Konversion mehr auflegen können, bedauerte der Minister. Konversion finde sich künftig im Bereich der integrierten Stadt-Umland-Entwicklung wieder.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!