Ruhiger Heimathafen für den NSU
Sächsisches Untersuchungsgremium zieht Bilanz / Neuauflage nach der Wahl in Aussicht
Hätten die drei Rechtsterroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe gefasst werden können, bevor sie im Jahr 2000 ihre Mordserie begannen? Kerstin Köditz, Obfrau der LINKEN im Untersuchungsausschuss des sächsischen Landtags zum Nationalsozialistischen Untergrund NSU, zweifelt nicht daran. Das in Jena gebürtige Trio hätte nach dem Untertauchen in Chemnitz 1998 gefunden werden können, ist sie überzeugt – wenn Ermittler gezielt im sächsischen »Blood & Honour«-Netzwerk geforscht hätten. Dort fanden die drei Unterstützer und Obdach – was den Behörden nicht auffiel: »Sie haben gar nicht nach Strukturen gesucht.«
Kein Wunder, sagt ihre SPD-Kollegin Sabine Friedel. Die sächsischen Ermittlungsbehörden seien teils unwissend gewesen, teils seien sie allenfalls halbherzig tätig geworden – vor allem, weil sie sich nicht zuständig fühlten. »Sachsen konnte so zum sicheren Heimathafen des NSU werden«, fasst Friedel die Bilanz der Opposition im Gremium zusammen, das wegen der Wahl des Landtags im August seine Arbeit zunächst beendet.
36 Sitzungen hat der Ausschuss seit seiner Einsetzung 2012 abgehalten, 34 Zeugen gehört. Ein nicht unwesentliches Ergebnis: Polizei oder Geheimdienst in Sachsen haben die abgetauchten Nazis nicht gedeckt oder unterstützt. Derlei Gerüchte kursierten, nachdem sich der NSU im November 2011 mit dem Tod von Böhnhardt und Mundlos in Eisenach sowie der Explosion ihres letzten Unterschlupfs in Zwickau faktisch aufgelöst hatte und danach viele Informationen als Licht kamen. Erhärtet hätten sich diese Vermutungen nicht, so Friedel: »Verschwörungstheorien können wir eine Absage erteilen.«
Freilich: So wenig, wie die Behörden für den NSU tätig waren, so wenig haben sie offenbar auch gegen ihn unternommen. Die Ermittler hätten, anders als von ihnen selbst behauptet, nicht unter einem Mangel an Informationen gelitten. »Sie haben sie aber nicht genutzt«, sagt Köditz, die eine Einrichtung für wesentlich verantwortlich ansieht: Die »Hauptlast für das Versagen« trage das Landesamt für Verfassungsschutz.
In einem umfangreichen Minderheitenvotum, das LINKE, Grüne und SPD dem offiziellen, ganze 22 Seiten kurzen Abschlussbericht des Gremiums zur Seite stellen, plädieren die Genossen daher für die Auflösung der Behörde. Die Grünen verlangen indes die Aufspaltung in ein »Institut für Demokratieerforschung« sowie einen Geheimdienst, der sich aber nur mit der Abwehr von Terrorismus und Spionage befasst. Die SPD hält das LfV für reformierbar – wenn dieses auf den Einsatz von V-Leuten verzichtet.
Abgesehen von derlei Uneinigkeit im Detail, ziehen die drei Fraktionen eine weitgehend identische Bilanz – vor allem in einem Kernpunkt: Nach der Wahl muss die Aufklärung weitergehen. Von acht Themen habe man nur fünf »angearbeitet«, sagt der grüne Obmann Miro Jennerjahn; weitere drei sind »offene Baustellen«, darunter die Frage, wie die sächsische Staatsregierung ab November 2011 auf Vorwürfe reagierte. Die hatte sie unter Hinweis auf die Zuständigkeit Thüringens abgewiegelt; das Innenministerium legte die Angelegenheit bereits im Sommer 2012 mit einem »Abschlussbericht« zu den Akten.
Die jetzige Opposition indes will weiter bohren, nicht zuletzt, weil nur so wenige Zeugen gehört wurden: »Andere Ausschüsse waren deutlich schneller«, sagt Jennerjahn mit Blick auf den Bundestag. Dass im Herbst ein neuer Ausschuss eingesetzt wird, ist gut denkbar. Die nötigen 25 Prozent der Abgeordneten sollten die drei Fraktionen auch nach August auf sich vereinen können. Ob eine mögliche Regierungsbeteiligung das Interesse partiell schwinden lässt, ist offen. Gestern sagten alle drei Obleute, dass sie die Empfehlung zur Einsetzung des neuen Ausschuss mittragen.
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