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Sargnagel für die Eisenbahn?
Winfried Wolf über boomende Fernbuslinien, den Niedergang des Zugverkehrs in der Bundesrepublik und scheinheilige Geschäftspraktiken der Deutschen Bahn AG
Der Ausbau der Autogesellschaft mit paralleler Zerstörung des Schienenverkehrs machte in den vergangenen Monaten deutliche Fortschritte. In Heilbronn entschied ein Gericht, dass die ohnehin ausgebluteten Kommunen finanziell dafür gerade stehen müssen, wenn ein Auto durch ein elf Zentimeter tiefes Schlagloch brettert und dadurch die Felgen beschädigt werden. Laut Kfz-Zulassungsstatistik sind bereits 40 Prozent aller neu angemeldeten Pkw die bis zu zwei Tonnen schweren und extrem PS-starken Geländewagen (SUVs). Die Deutsche Bahn AG beschleunigt den Ausverkauf ihrer Bahnhöfe und hält aktuell nur noch 1500 in ihrem Bestand - zu Wendezeiten waren es 7000. Und die Fernbusverkehre haben zweistellige Wachstumsraten.
Wieso soll letzteres problematisch sein, mag der eine und die andere fragen? Und dies dreifach konkretisieren: Ist das Fernbusfahren nicht ein sinnvolles, die Schiene ergänzendes Angebot? Kommen preiswerte Fernbusangebote nicht den einkommensschwachen Schichten im allgemeinen und den ostdeutschen Bundesländern mit ihrem oft miserablen Bahnverkehr im besonderen zugute? Ist die Deutsche Bahn AG nicht ein übermächtiger Monopolist, der von den pfiffigen Busunternehmen zu Recht herausgefordert wird? Dazu drei Gegenfragen nebst Antworten.
Erstens: Wo fahren die Fernbusse? Sie sind überwiegend auf Strecken unterwegs, auf denen die Bahn selbst Angebote bereit hält - oder dort den Schienenfernverkehr ganz oder weitgehend aufgegeben hat (unter anderem als sie 2001/2002 die Zuggattung »Interegio« einstellte). Das wäre zu verhindern gewesen. Schließlich untersagte der 2012 mit der Liberalisierung des Busfernverkehrs abgeschaffte Paragraf 13 des Personenbeförderungsgesetz Buslinienfernverkehre nur dann, »wenn der beantragte Verkehr ohne eine wesentliche Verbesserung der Verkehrsbedienung Verkehrsaufgaben übernehmen soll, die vorhandene Unternehmer oder Eisenbahnen bereits wahrnehmen«. Wenn dieser Paragraf in der Praxis dazu führte, dass manche sinnvollen Busfernverkehre nicht eingerichtet werden konnten, so hätte man diesen Gesetzestext präzisieren müssen anstatt ihn komplett zu streichen.
Zweitens: Warum sind die Fernbusfahrten so preiswert? Die Fernbusgesellschaften zahlen für die Infrastruktur nichts - nicht einmal die (deutlich zu niedrige) Lkw-Maut auf Autobahnen. Sie sind faktisch von teuren Auflagen wie Barrierefreiheit ausgenommen. Sie zahlen nichts für Haltestellen, Busbahnhöfen usw. und fordern inzwischen von den Kommunen teure Investitionen in entsprechende Infrastrukturen. Wobei man beim Thema Preis auch umgekehrt fragen muss: Warum haben sich die Kosten für Bahnfahren seit 1994 im Westen real um 50 Prozent und im Osten Deutschlands real um 100 Prozent verteuert? Wenn die Deutsche Bahn AG als Antwort auf den Erfolg der Busfernverkehre plötzlich auf der Strecke Berlin - Hamburg das Konkurrenzangebot IRE (InterregioExpress) einführen und die Fahrt zu 19,90 Euro anbieten kann, so zeigt das deutlich, dass es bei den Bahnpreisen enormen Spielraum nach unten gibt.
Drittens: Was bedeutet die Liberalisierung der Fernbusverkehre perspektivisch? Die Schiene verliert ausgerechnet dort, wo sie seit 1990 bereits massiv verlor und sich in einem Zangenangriff von Billigfliegern und Pkw-Verkehr befindet: im Schienenpersonenfernverkehr. Das Schienennetz, das seit 1994 bereits um 7000 Kilometer abgebaut wurde, wird weiter ausgedünnt. Die Erfahrung, die mit den Greyhound-Bussen in den USA gemacht wurden, wo diese nach dem Zweiten Weltkrieg maßgeblich zum endgültigen Niedergang der Eisenbahn beitrugen, droht sich in Deutschland (und in Europa als dem letzten Kontinent mit einem zusammenhängenden Schienennetz) zu wiederholen.
Die Gewinner sind die Straße im allgemeinen und der Ex-Brötchengeber von Bahnchef Rüdiger Grube, der Daimler-Konzern als der weltgrößte Bushersteller, im besonderen. Wobei die Deutsche Bahn AG längst so durchsetzt ist mit Autointeressen, dass sie am Ende selbst zu den Gewinnern zählen könnte. Schließlich hat sie im Fernbusmarkt bereits einen Marktanteil von 20 Prozent und richtet selbst ständig neue Buslinien ein, mit denen Schienenfernverkehre aufgegeben werden.
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