Hohlstellen und Blattrostbildung
Streusalz, Schwertransporte, Altersschwäche - in Bayern müssten 42 Brücken umgehend instand gesetzt werden
Es sind kleine Risse im Beton, durch die das Wasser sickert. Dort, wo es austritt, haben sich Stalagtiten gebildet, einige Zentimeter große Tropfsteine. »Der größte Feind der Brücken ist das Salz«, sagt René Pinnel und deutet auf die Schadstelle. Pinnel ist im Freisinger Bauamt in der Abteilung »Konstruktiver Ingenieurbau« für die Brücken zuständig. Gäbe es kein Streusalz im Winter, so der Ingenieur, würden Brückenbauwerke deutlich länger leben. So aber nagt der Zahn der Zeit an ihnen. Deutschlands Brücken sind sanierungsbedürftig, auch bei 42 Brücken in Bayern ist eine »umgehende Instandsetzung beziehungsweise Erneuerung erforderlich«, lautete jüngst die Antwort des Bundesverkehrsministeriums auf eine parlamentarische Anfrage. Jetzt hat das Bundesministerium mit einem Sonderprogramm 674 Millionen Euro für die Sanierung von Brücken zur Verfügung gestellt.
Dazu gehört auch die Brücke der Bundesstraße 11 über die Isar bei Moosburg im bayerischen Landkreis Freising. Jeden Tag rollen an die 21 000 Fahrzeuge über diese »Bogenbrücke mit abgehängter Fahrbahn«, wie es in der Fachsprache heißt, darunter rund 800 Schwerverkehrsfahrzeuge, also Fahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht schwerer als 3,5 Tonnen. Die Brücke besteht aus zwei Teilen. Ein altes Teil im sogenannten Vorfluterbereich stammt aus dem Jahre 1907. Das Flussteil wurde 1945 von der Wehrmacht wegen der vorrückenden US-Armee gesprengt und 1949 neu aufgebaut.
Die Last der Fahrbahn über die Isar wird von zwei genieteten Stahlbögen getragen. Auf diese und rund 100 andere Brücken hat das Staatliche Bauamt Freising ein besonders wachsames Auge. Es ist in seinem Bereich unter anderem zuständig für 584 Brücken und 105 sonstige Ingenieurbauwerke wie Tunnel, Stützmauern oder Lärmschutzwände.
Der 40-jährige Pinnel steht an der Moosburger Brücke und hält den Prüfbericht vom Mai 2013 in der Hand. »Zustandnote: 3,0« steht in großen Buchstaben auf der ersten Seite. Auf den folgenden sind die Mängel des Bauwerks aufgelistet. Da ist die Rede, dass etwa beim Querträger unter der Fahrbahnplatte der »Flansch des Doppel-T-Profiles« verrostet ist, mit »Blattrostbildung«. Gleiches gilt für die Längsträger. Im Beton der Fahrbahn findet sich »ein etwa in der Mittelachse verlaufender Riss«, in der »Kammerwand« wurde »oberstromig« eine Hohlstelle festgestellt, der Fahrbahnbelag zerbröckelt großflächig und das Entwässerungsrohr ist auch verrostet.
Mit derartigen Prüfungen beauftragt das Bauamt externe Ingenieurbüros, dafür stehen jedes Jahr rund 350 000 Euro zur Verfügung. Das Gutachten mündet in einer dreifachen Bewertung. Bei der Standsicherheit erhielt die Moosburger Brücke die Note 2: Die Schäden haben nur einen geringen Einfluss, eine Einsturzgefahr ist noch weit entfernt. Auch bei der Verkehrssicherheit wurde die Note 2 vergeben, sie ist nur geringfügig beeinträchtigt. Bei der Dauerhaftigkeit aber erhielt die Brücke die Note 3. Die Mängel, so das Gutachten, führen mittelfristig zur Beeinträchtigung der Dauerhaftigkeit des Bauwerks: »Eine Schadensausbreitung oder Folgeschädigung anderer Bauteile ist zu erwarten. Schadensbeseitigung kurzfristig erforderlich.« Die schlechteste Note ist übrigens die 4.
Das bayerische Verkehrsministerium hat Brückenbestand und Sanierungsbedarf im Freistaat aufgelistet: Das Bundesfernstraßennetz in Bayern umfasst auf den Bundesautobahnen einen Bestand von rund 3600 Brücken mit einer Bauwerksfläche von 3,6 Millionen Quadratmetern. Auf den Bundesstraßen sind es rund 3300 Brücken mit einer Fläche von 1,6 Millionen Quadratmetern. Für 16 Prozent der Autobahnbrücken ist vordringlich eine größere Instandsetzung beziehungsweise Erneuerung erforderlich und für 46 Prozent besteht »zeitnah ein Instandsetzungsbedarf«. Auf den Bundesstraßen sind acht Prozent der Brücken vordringlich zu sanieren oder zu erneuern, 26 Prozent müssen zeitnah instand gesetzt werden.
Dass die Brücken marode werden hat einerseits mit dem Baujahr zu tun: Ein Großteil wurde in den Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs gebaut, also in den 1960er, 1970er und auch 1980er Jahren. Altersbedingt stehen nun die ersten größeren Instandsetzungsarbeiten an. Andererseits liegt es an der Zunahme des Straßenverkehrs, dass viele der Bauwerke nicht mehr den heutigen Anforderungen entsprechen. Denn bei der Planung der Brücken und ihrer Belastbarkeit war die Vervielfachung des Schwerverkehrs in den vergangenen Jahrzehnten nicht vorauszusehen.
Verschärft wird dieses Problem, so das bayerische Verkehrsministerium, »durch die überproportionale Zunahme der Großraum- und Schwertransporte mit entsprechend hohem Schädigungspotenzial für den Brückenbestand«. Und diese Transporte haben es in der Tat in sich: Das Gesamtzuggewicht kann dabei bis 250 Tonnen betragen, die Sattelzüge sind häufig über 50 Meter lang - überwiegend darf nur nachts gefahren werden. Obwohl für Schwertransporte ein enormer Aufwand notwendig ist - sie müssen behördlich angemeldet werden, die Route ist genehmigungspflichtig - steigt ihre Anzahl. So wurden in Bayern 2013 rund 200 000 Anträge auf Schwertransporte gestellt, doppelt so viele wie 2004. Mit ein Grund dafür ist auch die zunehmende Verbreitung erneuerbarer Energien. Denn die Rotorblätter der im Lande empor sprießenden Windenergieparks werden mit Schwertransporten über die Straßen angeliefert.
Zurück nach Moosburg. Gerade donnert ein Lastzug über die Isar-Brücke. Die ist in die »Brückenklasse 45« eingeordnet. Das meint, dass das Bauwerk ein 45 Tonnen schweres Bemessungsfahrzeug auf der Fahrbahn und dazu den normalen Pkw-Verkehr bewältigt. »Fahren jetzt aber zwei voll beladene Lkw über die Brücke, dann kommt es zu einer übermäßigen Verformung und schließlich zu einer Ermüdung des Bauwerks«, erklärt Pinnel.
War zunächst eine Sanierung des Bauwerks angedacht, wird jetzt ein Neubau geplant. Denn in Moosburg sind »die genieteten Stahlbögen das Problem, die kann man kaum wirtschaftlich sinnvoll verstärken«, so Pinnel, Und dann »der Rost an allen Ecken und Kanten«. Im Staatlichen Bauamt hat man nachgerechnet und eine Sanierung für unwirtschaftlich befunden, die erreichbare Restnutzungsdauer wäre zu kurz.
So hat man sich für einen Neubau entschieden - mit zwei zueinander geneigten und geschweißten Bögen, die an eine Art Tor erinnern, die Fahrbahn wird von radialen Hängern getragen. 156,6 Meter lang wird die neue Brücke bestehend aus den beiden Bereichen Isarbrücke und Vorlandbrücke sein - mit dem Bau will man 2015 beginnen.
Dazu muss aber noch das Planfeststellungsverfahren durchgeführt werden. Denn für den Neubau wird die alte Brücke einige Meter flussabwärts verschoben, um den Verkehrsfluss während der Bauzeit zu gewährleisten. Dazu müssen aber 1600 Quadratmeter Auwald gerodet werden, der unter Naturschutz steht. Dafür bedarf es einer Ausnahmegenehmigung - deshalb auch das Planfeststellungsverfahren. 12,5 Millionen Euro wird der Neubau kosten und das Bundesprogramm kommt gerade recht. »Ich halte das für sinnvoll«, sagt Bauingenieur Pinnel.
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