Ohne Gehaltserhöhung bis 2018
In Großbritannien legten mehr als eine Million öffentlich Bedienstete die Arbeit nieder
Wer am Donnerstag in Großbritannien die Telefonhotline der Arbeitsämter anwählte, bekam folgendes zu hören: »Wegen Service-Problemen gibt es heute leider nur stark eingeschränkte Dienstleistungen. Deshalb kommt es zu längeren Wartezeiten.« Bei den »Service-Problemen« handelte es sich um einen Streik im öffentlichen Dienst, an dem sich mehr als eine Million Beschäftigte beteiligten. Am Mittwoch traten sie in den 24-stündigen Ausstand, um höhere Gehälter einzufordern und gegen Rentenkürzungen zu protestieren.
Der Streik legte große Teile des öffentlichen Dienstes in England, Nordirland und Wales lahm. Viele Schulen blieben ebenso geschlossen wie Museen, Galerien, Rathäuser und Behörden. Der Müll wurde nicht eingesammelt und auch die Feuerwehren streikten. In über 50 Städten gab es zur Mittagszeit Demonstrationen oder Kundgebungen. Es war der größte Streik gegen die Sparpolitik der britischen Regierung seit über zweieinhalb Jahren.
Führende konservative Politiker, darunter Premier David Cameron und Bildungsminister Michael Gove, nahmen den Streik mit Schaum vor dem Mund zur Kenntnis und sagten den Gewerkschaften den Kampf an. Im Falle eines Wahlerfolgs seiner Partei bei den Parlamentswahlen im kommenden Jahr werde er Streiks verbieten, die nicht von immer neuen Urabstimmungen legitimiert würden, sagte Cameron. Außerdem sollen Streiks dann nur noch legal sein, wenn sich 50 Prozent aller Befragten an einer Urabstimmung beteiligen. Sogar ein generelles Streikverbot für den öffentlichen Dienst wird diskutiert.
Insbesondere die Lehrergewerkschaft NUT wird ins Visier genommen. Sie führt schon lange einen Arbeitskampf gegen die Regierung. Dabei geht es um steigende Arbeitsbelastung, um Stellenabbau und um Lohnkürzungen. Bei den Lehrkräften soll nämlich zur »Performance-related pay«, also der Bezahlung gemäß der erbrachten Leistung, übergegangen werden. Die »Leistung« soll von den jeweiligen Schulleitern bewertet werden. Landesweit gültige Tarifverträge würden dadurch aufgebrochen. Die NUT hat deshalb schon mehrfach gestreikt und beteiligte sich auch am Donnerstag an den Aktionen.
Bildungsminister Gove hält die Streikenden für »eine kleine Gruppe von Menschen, die ideologisch motiviert gegen unsere Vorhaben Widerstand leisten«. Doch von den zahlreichen Streikposten landauf landab wurde ein ganz anderes Bild vermittelt. Da streikte der Bibliothekar, der sich die Hypothek für sein Haus nicht mehr leisten kann, weil er seit 2010 keine Gehaltserhöhung bekommen hat und es für Wochenenddienste keinen doppelten Lohn mehr gibt. Oder die Hausmeisterin an einer Schule, die aus den gleichen Gründen auf ihr Abendessen verzichtet, damit ihre Kinder eine Mahlzeit bekommen. Ganz offensichtlich kommt dieser Streik aus der Mitte der britischen Gesellschaft.
Die Einsparungen haben aus dem öffentlichen Dienst eine Niedriglohngruppe gemacht. Laut Gewerkschaftsangaben verdienen Beschäftigte jetzt im Jahr über 2000 Pfund weniger als noch 2010. Von den 4,8 Millionen Niedriglöhnern auf der Insel arbeitet jeder zehnte für die Kommunen. Kein Wunder, dass der Streiktag unter dem Motto »Wir brauchen alle eine Gehaltserhöhung« stand.
Nach dem Willen der Regierung soll es bis 2018 keine solche geben. Die oppositionelle Labour Partei trägt das mit, weshalb sie den Streik nicht unterstützte. Im Falle eines Wahlsieges verspricht sie lediglich einen weniger konfrontativen Kurs gegenüber den Gewerkschaften. Unabhängig davon sind bereits für Anfang September neue Streiktage angesetzt.
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