Kein Waschbrettkörperego
Veganer sind nicht gleich Veganer. Klingt komisch, erschließt sich aber in dem Moment, wenn man sich mit der Motivation des Einzelnen für eine tierfreie Lebensweise beschäftigt. Womit die Gretchenfrage bereits über die Weide tappst: Zwischen veganer Ernährung und Lebensweise besteht ein großer Unterschied. Wer sich lediglich vegan ernährt, der echauffiert sich nicht unbedingt darüber, wenn ein von den Medien als Vegan-Guru gefeierter Koch mit einer Luxuskarosse samt Echtlederaustattung die Umwelt verpestet. Die vegane Bewegung – so wie sie der Autor dieses Blogs für sich definiert - droht gerade an ihrem eigenen Erfolg zu ersticken.
Über den Boom der veganen Szene ist an anderen Stellen und natürlich auch im »nd« viel geschrieben worden. Die Aufmerksamkeitsspanne der Kollegen anderen Medien reichte inzwischen sogar zu ganzen Schwerpunktausgaben und ungezählten Einzelbeiträgen. In der Berichterstattung fällt allerdings immer wieder auf, wie stark zwischen veganer Ernährung und Lebensweise getrennt wird. Letztere spielt in den vielen Beiträgen keine, maximal eine untergeordnete Rolle. Geht es nämlich um Veganismus, dann dominieren meist die Gesundheitsthemen.
Das mag zunächst logisch klingen, denn wohl niemand will selbstzerstörerisch seinen Körper für eine Idee opfern. Dafür bräuchte es auch einen vermeintlich die Gesundheit gefährdenden Veganismus nicht, denn das bekommt man auch problemlos als Allesesser hin. Es bleibt ohnehin ein ungeklärtes Rätsel, warum die Vertreter jener gesellschaftlichen Mehrheit Veganern in regelmäßigen Abständen den Hinweis geben, wie gefährlich die tierfreie Ernährung doch sei, aber selbst nicht einmal in der Lage sind, zu erklären, worin der ernährungsphysiologische Vorteil von Fleisch, Milch oder Eiern liegen soll. Im informiertesten Fall brabbelt das Gegenüber irgendwas von einem drohenden B12-Mangel, kann dann aber leider nie erklären, welchen Zweck besagtes Vitamin im Körper eigentlich erfüllt.
Oder man schreibt sieben vermeintliche Wahrheiten über die Irrungen der Veganer auf, wie es die Journalistin Elisabeth Raether letzte Woche für das »Zeit«-Magazin sehr schwammig tat. Da wird mal eben das Schmerz- und Gefühlsempfinden von Tieren geleugnet, die Ansätze der bioveganen Landwirtschaft ignoriert und und eine Realität herbei fantasiert, in der glückliche Rinder auf Wiesen weiden, wobei die Autorin es vermeidet, auf den Zynismus einzugehen, wonach für Fleischesser mit dem steigenden Glücksempfinden eines Tieres die Berechtigung für das Töten des selbigen steigt. Komm schon, jetzt töte mich endlich, ich bin um die Schenkel herum ganz zart und warte nur darauf, das mein glückliches Leben endlich beendet wird. Wer diesen Satz, ohne dabei ins Grübeln zu kommen, unterschreiben würde, sollte sich besser einen guten Therapeuten suchen. Tieren wird diese Todessehnsucht dagegen wie selbstverständlich in den Mund gelegt.
Es gibt allerdings eine wachsende Zahl von Veganern, die solche zynischen Argumentationen immer seltener hinterfragen oder öffentlich kritisieren. Stattdessen wird um mehr Akzeptanz für Fleisch essenden Mitmenschen gebeten, denn schließlich sei Veganismus auch nur ein Lebensentwurf wie jeder andere. Mit solch einer Haltung wäre die Bewegung allerdings endgültig in den seichten Gewässern eines entpolitisierten, austauschbaren Lebensgefühls angekommen, das nur darauf wartet, durch den nächsten Trend abgelöst zu werden. Besonders gesundheitsbezogene Veganer, die sich zwecks der Heilversprechen ein länger dauernden Jugend tierfrei ernähren, sind für wechselnde Moden besonders anfällig. Es dürfte inzwischen kein relevantes Nahrungsmittel bzw. dessen Nährstoffe geben, das im Abstand einiger Jahre nicht von irgendwelchen Ernährungsberatern als Geißel der Gesundheit verschrien wurde. Böse waren sie alle irgendwann einmal. Erst kam das Fett an die Reihe, dann der Zucker, später die Kohlenhydrate und ja, spätestens seit der in einigen Punkten zurecht kritisierten China Study auch die auf tierischen Inhaltsstoffen basierende Ernährung.
Wer Veganismus dagegen als ethisches Konzept begreift, der müsste das tägliche Unrecht gegenüber Tieren und der Umwelt als solches klar benennen und nicht ständig darüber philosophieren, welcher 400 Euro teure Gastrostandmixer nun die leckersten Smoothies zaubert. Geschmack ist zwar wichtig, hat aber mit einem ethisch begründeten Veganismus nichts zu tun, denn der Gaumen kann kaum als der innere Kompass dafür dienen, ob wir eine Handlung als richtig oder falsch bewerten. Das Problem mit dem entpolitisierten Veganismus ist, dass er vollends in die bestehenden Marktmechanismen integriert werden kann und es gerade wird. Wenn ich nun demnächst mit dem Flugzeug in Richtung irgendeines Südseeparadieses unterwegs sein sollte, dann kann ich mich vielleicht über die durch mein tierfreies Mittagessen gerettete Hühnerseele, aber ignoriere nebenbei völlig, dass der Flug einen weiteren kleinen Beitrag für den menschengemachten Klimawandel leistet.
Ebenso verhält es sich mit dem, gerade als so genanntes Superfood und gerade unter gesundheitlich motivierten Veganern sehr beliebten, Quinoa. Da mag das Bio-Etikett auf der Plastikverpackung noch so strahlend werben, doch die Kleinbauern Boliviens profitieren von dem Boom praktisch nicht. Bio ist eben nicht gleichzusetzen mit fair. Die Gewinne aus den stetig steigenden Weltmarktpreise landen fast ausschließlich bei den Zwischenhändlern. Für einen ethisch motivierten Veganer ein Problem, für viele andere nur ein unglücklicher Markteffekt, sofern sie diesen überhaupt wahrnehmen. Das eigene Waschbrettkörperego ist eben wichtiger als tausende unbekannte Bauern irgendwo in den Anden, deren Stellvertreter mich bestenfalls von der Quinoa-Tüte aus freundlich anlächelt, während ich das Superfood in meinen immer jugendlicher aussehenden Körper reinschaufel. Genau darin aber zeigt sich der Unterschied zwischen veganer Ernährung und veganer Lebensweise. Während man sich bei ersteren Prinzip primär auf das eigene Körpergefühl konzentriert, geht es bei der veganen Lebensweise um die ganzheitliche Berücksichtigung von Interessen und Bedürfnissen meiner Umwelt. Eine Botschaft, die im Streit um den geschmackvolleren Sojajogurt leider oft auf der Strecke bleibt.
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