Prokon: Eklat am Tag der Entscheidung
Gericht: Vollmachten der Gläubiger teils unwirksam
Hamburg. Die wohl größte Gläubigerversammlung der deutschen Wirtschaftsgeschichte begann mit einem Eklat: Das Amtsgericht Itzehoe schloss Stimmen von 15 000 Gläubigern, die dem geschassten Gründer des insolventen Windenergieunternehmens Prokon, Carsten Rodbertus, nahe stehen, von der Ausübung ihrer Stimmrechte aus. Ihre Vollmachten sollen rechtlich unwirksam sein.
Rodbertus hatte nach nd-Informationen unter dem Namen eines wohl befreundeten Prokon-Anlegers aus Süddeutschland zwar abertausende Vollmachten eingesammelt, aber unter seiner eigenen Wohnadresse im norddeutschen Hohenaspe. Außerdem entsprechen die einseitigen Vollmachten nicht in jedem Punkt gängigen Normen. Eine Vertreterin der nach eigenen Angaben 9000 Mitglieder zählenden »Freunde von Prokon« - ursprünglich eine Rodbertus-Fan-gruppe - und ein Vertreter der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) hatten beim Insolvenzgericht beantragt, die Vollmachten zu streichen. Gegen die Entscheidung des Gerichts wollen mehrere Anlegeranwälte nun klagen. Unabhängig vom Ausgang der gestrigen Gläubigerversammlung ist also weiter für juristischen Zündstoff gesorgt.
Die Versammlung unter dem Hamburger Fernsehturm war nicht öffentlich, selbst Pressevertreter hatten keinen Zutritt. Weniger als 5000 der 76 000 Gläubiger hatten den Weg aus der ganzen Bundesrepublik in die Messehallen gefunden. Zuvor hatte eine mediale Schlammschlacht getobt, wie »es sie meines Wissens noch nicht gegeben hat«, sagte ein erfahrener Anlegerschützer dem »nd«: Rodbertus, der Prokon erst in diese missliche Lage gebracht hatte, warf dem vom Gericht eingesetzten Insolvenzverwalter vor, Prokon zerschlagen zu wollen. Bei seinem eigenen Rettungsvorschlag würden die Anleger fast vollständig entschädigt.
Dagegen setzt Insolvenzverwalter Dietmar Penzlin auf »eine Sanierung mit Augenmaß«. 1,5 Milliarden Euro an Verbindlichkeiten stehe nur ein Vermögen von einer Milliarde Euro gegenüber. Die 15 Windparks und 300 der 450 Arbeitsplätze könnten gerettet werden; die Gläubiger müssten aber mit einem Verlust von bis zu 70 Prozent des Kapitals rechnen. In den Abstimmungen in der Messe zählte nicht jede Gläubigerstimme gleich viel. Wie bei Aktionärshauptversammlungen entschied allein die sogenannte Summenmehrheit. Diese ergibt sich aus der Zahl der Anteile, die Gläubiger besitzen. Die Versammlung war bei Redaktionsschluss noch nicht beendet. hape
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