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»Hallo, hier spricht die EZB ...«
Ingo Stützle über einen Anruf der Europäischen Zentralbank und den Klassencharakter von Vermögensstatistiken
Vor einigen Tagen starb Karl Albrecht, der Aldi-Mitbegründer. Laut der aktuellen Forbes-Liste belegte er Platz 23 unter den reichsten Menschen weltweit. Sein Vermögen wird auf über 17 Milliarden Euro geschätzt. Wie viel genau er auf der hohen Kante hatte, weiß niemand. Das ist nicht nur bei ihm so. Bildlich gesprochen: Die globalen Vermögen stellen ein schwarzes Loch dar. Nichts Genaues weiß man nicht. Noch 2013 betrug das Vermögen in Deutschland laut einer Studie der Europäischen Zentralbank (EZB) etwa 76 Milliarden Euro. Alleine die beiden »Aldi-Brüder« kommen jedoch nach anderen Schätzungen auf etwa die Hälfte.
Kann die EZB-Zahl also stimmen? Wohl kaum. Warum sind in der Studie kaum seriöse Zahlen zu finden? Statistiker sind doch sonst keine Zunft des Ungefähren. Bereits Marx stellte fest: »Die Statistik ist die erste politische Wissenschaft! Ich kenne den Kopf eines Menschen, wenn ich weiß, wie viel Haare er produziert.«
Warum die Studie derart vage ist, erklärt sich ganz einfach: Sie basiert auf einer freiwilligen Umfrage. Wahrscheinlich etwa so: »Hallo Herr Albrecht, hier spricht die EZB. Entschuldigen Sie die Störung. Wir machen eine Umfrage zu Vermögensbeständen in Europa und wir hätten ein paar Fragen an Sie. Haben Sie ein paar Minuten? Das Gespräch wird selbstverständlich nicht aufgezeichnet und Ihre Angaben sind freiwillig … Herr Albrecht? Hallo!? Wir wussten ja, dass Sie verschwiegen sind, aber wollen Sie uns nicht ein paar Fragen beantworten? Sie müssen uns ja nicht alles sagen. Und ob es richtig ist, was Sie angeben, kann eh niemand nachprüfen. Was meinen Sie? … Hallo? Mist, aufgelegt ... Hallo Herr Maschmeyer, hier spricht die EZB. Wir machen eine Umfrage zu Vermögen und wir hätten ein paar Fragen an Sie ...«
Sicher sind nicht alle Reichen so schweigsam wie Karl Albrecht und ob er tatsächlich aufgelegt hat, wissen wir ebenso wenig, wie wir die Antworten auf die EZB-Umfrage überprüfen können. Zumindest war wohl die Bank selbst unzufrieden mit der eigenen Studie und gab eine neue in Auftrag. Das Ergebnis lautet, wenig verwunderlich: Der Reichtum ist in Europa noch stärker konzentriert als angenommen; die Reichen noch reicher als gedacht; Deutschland probt – hinsichtlich Spitzenvermögen und Ungleichheit – den Schulterschluss mit US-Verhältnissen. Wer hätte das gedacht!? Philip Vermeulen, Autor der EZB-Studie, trug Umfragedaten und Analysen zusammen und kombinierte die Ergebnisse mit der traditionsreichen Forbes-Liste, die vom gleichnamigen Wirtschaftsmagazin erstellt wird und wohl einen besseren Draht zu ihrem Klientel hat. Laut der EZB-Studie besitzt das reichste Prozent der Deutschen etwa 32 Prozent des Gesamtvermögens – bisher wurde von 26 Prozent ausgegangen.
Ach ja, bei den Vermögen der superreichen Deutschen sind Jachten oder Gemälde nicht mitgezählt. Die Privatsphäre des reichsten Prozents wird geschätzt und respektiert – niemand zählt die Neo Rauchs oder Daniel Richters, die bei der einen oder dem anderen an der Wand hängen. Bei Zahnbürsten ist das hingegen anders – zumindest bei Hartz-IV-Beziehern. Schließlich ist mehr als eine Zahnbürste ein Hinweis darauf, dass man nicht alleine wohnt und sich vielleicht in einer Bedarfsgemeinschaft tummelt. Diese ist ein juristisches Konstrukt, das unterstellt, dass Personen mit einer persönlichen oder verwandtschaftlichen Beziehung und einem gemeinsamen Haushalt sich gegenseitig materiell unterstützen (müssen) – ein gemeinsamer Lebensunterhalt bedeutet: keine staatliche Unterstützung. Deshalb werden bei einem Hausbesuch des Jobcenters auch mal Zahnbürsten gezählt.
Aber nicht nur die sind von Interesse: Hartz-IV-Bezieher sind im Gegensatz zu Vermögenden statistisch gut ausgeleuchtet. Nicht nur der Zuverdienst und das »Vermögen« werden bei Anspruch auf Hartz IV penibel überprüft. Ein Auto darf nicht zu teuer sein und Erspartes muss aufgebraucht werden, bevor das Jobcenter etwas überweist. Und noch etwas: Während die EZB anruft, muss man beim Jobcenter selbst anrufen oder persönlich vorstellig werden. Das Geld bekommt man nicht erstattet und man muss Rede und Antwort stehen – wahrheitsgemäß.
Den Ergebnissen ihrer neuesten Studie traut die EZB jedoch wohl selbst nicht. Oder warum ist gleich auf dem Titelblatt zu lesen, dass das Arbeitspapier nicht die offizielle Sicht der Bank repräsentiere? Nun ja, die nächste Studie kommt bestimmt.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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