Schwerer Start nach der Strafe
Soziale Dienste in Thüringer Gefängnissen mit Haftentlassungsvorbereitungen oft überlastet
Gotha. Mehr als 1300 Straftäter werden jedes Jahr aus den Thüringer Gefängnissen entlassen, doch bei der Job- und Wohnungssuche wird ihnen der Neuanfang in Freiheit oft schwer gemacht. »Vermieter wollen keine Straftäter, erst recht keine mit Miet- oder anderen Schulden«, erläutert Stefan Giebel, Leiter des Kriminologischen Dienstes des Justizministeriums mit Sitz in Gotha. Eine Wohnung sei aber Voraussetzung für Personalausweis sowie Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe. Bei der Suche nach einem Job hätten Ex-Häftlinge das Problem, dass selbst für einfache Arbeiten inzwischen oft ein polizeiliches Führungszeugnis verlangt werde, berichtet Giebel.
Immerhin: Mehr als 70 Prozent der Thüringer Strafgefangenen finden nach der Entlassung eine Arbeit. »Wir erfahren allerdings nicht, wie lange sie diese Arbeit behalten«, sagt der Fachmann. Problematisch sei, dass die Sozialen Dienste im Gefängnis oft überlastet seien und wegen der Vielzahl der Klienten nicht immer bei begleiteten Ausgängen dabei sein und die Häftlinge etwa bei Behördengängen unterstützen könnten. Sie müssten sich deswegen »draußen« Hilfe suchen und konkurrierten ohne Fürsprecher mit anderen Bewerbern etwa um eine Arbeitsstelle oder Wohnung. Nur zwei von fünf Entlassenen finden laut Statistik eine Wohnung; 60 Prozent kommen bei Eltern oder im betreuten Wohnen unter.
»Die Vorbereitung auf die Entlassung beginnt in den meisten Fällen mit dem Haftantritt«, erklärt Giebel. Dann werden im Vollzugsplan alle nötigen Termine festgelegt. Ernst wird es dann sechs Monate vor dem Schritt in die Freiheit. Bei kurzer Haftdauer wird versucht, Wohnung, Arbeit oder Ausbildungsplatz zu erhalten. Trotzdem kann es passieren, dass ein Häftling seine Wohnung während der Haft verliert. So wie in Schlotheim (Unstrut-Hainich-Kreis), wo Ende Juni ein 21-Jähriger nach einem halben Jahr im Gefängnis vor verschlossener Tür stand. Obwohl die Miete gezahlt worden war, hatte sein Vermieter kurzerhand das Schloss ausgebaut und die Möbel ausgelagert. Per Gerichtsbeschluss verschaffte sich der junge Mann wieder Zutritt. »Sie sind bei den anderen Bewohnern nicht willkommen«, sagte der Vorstandschef der Wohnungsgenossenschaft bei der Schlüsselübergabe im Amtsgericht Mühlhausen.
Um Häftlinge fit für den Arbeitsmarkt zu machen, gibt es in Thüringen seit 2008 das Projekt Bildung und Integration Strafgefangener und Strafentlassener (BISS). Dabei werden 300 Plätze für berufliche Qualifikation während der Haftzeit bis hin zur Facharbeiterausbildung vermittelt. »Ziel ist ein versicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis während oder in unmittelbarem Anschluss an die Haftzeit«, erklärt Eberhardt Pfeiffer, Sprecher des Justizministeriums in Erfurt. In Entlassungsseminaren geht es um bürokratische Hürden, die richtigen Anlaufstellen und finanzielle sowie therapeutische Unterstützung.
Bei langen Haftstrafen üben sich Entlassungskandidaten zuvor in Alltagsbewältigung. Ein Großteil der Inhaftierten schließt den Angaben zufolge freiwillig eine sogenannte Nachsorgevereinbarung ab. Darin wird festgelegt, wie die Hilfen in den ersten sechs Monaten jenseits der Gefängnismauern aussehen könnten. Nicht jeder möchte sich aber helfen lassen. 2012 hatten beispielsweise 100 der 132 Entlassungskandidaten im Jugendgefängnis Ichtershausen (Ilm-Kreis) eine solche Vereinbarung abgeschlossen. Nur 56 von ihnen hielten bis zum Tag der Entlassung daran fest; 24 davon brachen den Kontakt ab oder kamen wieder in Haft.
»Erfolg hat der Vollzug nicht nur dann, wenn erneute Straftaten vermieden werden können«, betont Kriminologe Giebel. Vielmehr zähle auch eine gelungene Wiedereingliederung in die Gesellschaft dazu. »Diese Integration ist der beste Opferschutz.« Laut einer Studie im Auftrag des Bundesjustizministeriums werden im Bundesdurchschnitt 59 Prozent der Erwachsenen und 80 Prozent der Jugendlichen nach einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung wieder in irgendeiner Form rückfällig. Die Quote steigt mit der Anzahl an Vorstrafen. Mit 54 Prozent gibt es die höchste Rückfallrate nach einer Verurteilung wegen schweren Diebstahls, Raubs und Erpressung. Die wenigsten Rückfälle passieren bei Tötungsdelikten (18 Prozent). dpa/nd
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