Kommt er? Geht er? Bleibt er?

Problemfall Marcelinho könnte heute im UI-Cup letztmals für Hertha auflaufen

  • Ronny Blaschke
  • Lesedauer: 3 Min.
Immer wieder werden die Fragen gestellt. Geht er? Bleibt er? Benimmt er sich? Marcelinho hat darauf keine zufriedenstellenden Antworten gegeben. Was er zurzeit souverän ausfüllt, ist einzig und allein das Sommerloch. Vor wenigen Tagen noch gastierten in Berlin die Künstler des Weltfußballs. Die WM ist vorüber, und so müssen sich die Debattier-Gemeinschaften der Hauptstadt mit den postpubertären Problemen eines brasilianischen Fußballprofis begnügen. Verschweigen kann man das Thema nicht. Schließlich ist Marcelinho nach sportlichen Maßstäben der wichtigste Spieler des Klubs. An guten Tagen kann der fünfmalige Nationalspieler ein ganzes Stadion verzaubern. Deshalb haben Manager Dieter Hoeneß und Trainer Falko Götz bislang über die Launen ihrer südamerikanischen Diva hinweg gesehen, über Verkehrsstrafen, dubiose Geschäfte, banale Terminschwierigkeiten, angebliche Abwanderungsgedanken, kurz: über ständige Sinneswandel. In diesem Sommer jedoch krönte Marcelinho sein reichhaltiges Eskapaden-Repertoire: Er verlängerte seinen Heimaturlaub um neun Tage. Seither strafen ihn die Kollegen im Trainingslager in Österreich mit Missachtung. Dass er sich mehrfach entschuldigt hat, so hart trainiert wie lange nicht mehr und um eine Vertragsverlängerung gebeten hat, lässt die Hertha-Oberen offenbar kalt. Und so scheint die unendliche Geschichte doch ein Ende zu finden. Hertha BSC und Marcelinho werden wohl bald getrennte Wege gehen. Der mögliche Einsatz im UI-Cup-Rückspiel beim FK Moskau am Sonnabend (Hinspiel 0:0) könnte sein letzter sein. Der türkische Erstligist Trabzonspor hat ein konkretes Angebot unterbreitet. Die Wunschablöse der Berliner soll bei drei Millionen Euro liegen. 2001 war Marcelinho für umgerechnet acht Millionen gekommen. Ein Verlustgeschäft - in vielerlei Hinsicht. In Berlin atmen viele auf: Zeichnet sich das Ende des größten Problems ab? Kurzfristig schon. Doch während der Saison dürften neue Probleme hinzukommen. Die Mannschaft wird von jungen und unerfahrenen Spielern geprägt. Hoeneß hat keine andere Wahl, er kann den hoch verschuldeten Klub nicht mit weiteren Millionen-Transfers belasten. Rund 1,8 Millionen Euro soll er jährlich verdient haben. Die Trennung von Marcelinho eine Erleichterung. Die Zahlung für die letzte Saison seines Vertrages könnte sich der Klub sparen. Das wissen die Fans, deshalb halten sich ihre Proteste gegen einen Wechsel in Grenzen. Viele sehnen ihn sogar herbei. Was aber wird passieren, wenn Hertha in Moskau kläglich verliert und wie in der vergangenen Saison in eine sportliche Krise stürzt? Spieler wie Malik Fathi, Kevin-Prince Boateng, Christopher Samba, Sofian Chahed oder Solomon Okoronkwo sind 23 Jahre oder jünger. Der erste Reflex des schreckhaften Berliner Boulevards und des anspruchsvollen Publikums ist schon jetzt voraus zu sehen. Eine Vermisstenanzeige würden sie aufgeben: Marcelinho, der Tänzer, könnte die Hertha retten, mit einem Dribbling, mit einem Pass oder mit einem Freistoß. Doch das ist ein Trugschluss. Die Zeit, in der Marcelinho konstant gut spielte, ist lange vorbei. In der Saison 2004/05 wurde er zum besten Spieler der Bundesliga gewählt. Er hat Manager Hoeneß mit betörenden Toren erfreut - ihn aber auch mit vielen Disziplinlosigkeiten erzürnt. Marcelinho prägte das öffentliche Bild der Hertha, manchmal ließ er den Verein besser dastehen, als er war, manchmal schlechter. »Wer nicht mitzieht, hat bei uns nichts zu suchen«, sagte Hoeneß in den vergangenen Tagen immer wieder. Sollte er Marcelinho, 31, wieder begnadigen, würde er seinen Jugendstil konterkarieren und womöglich an Autorität verlieren. Erlauben kann er sich das nach dem vergangenen Winter nicht. Damals stand Hoeneß in der Öffentlichkeit so sehr in der Kritik wie nie zuvor. Auch ihm werden die Fragen täglich gestellt. Geht er? Bleibt er? Benimmt er sich? Dieter Hoeneß dürfte sich unter einem entspannten Sommerloch etwas anderes vorstellen.
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