Der Platz ist eine Frechheit
Wegen einer WM auf ungeliebtem Kunstrasen drohen Nadine Angerer und Co. der FIFA mit einer Klage
New York. Die Fronten in dem Rasen-Streit sind verhärtet. Und ein Kompromiss scheint nicht in Sicht. Die Kunstrasen-»Allergie« von Nadine Angerer und Co. könnte in einer juristischen Schlammschlacht gipfeln. Angeführt von der Weltfußballerin drohen rund 40 Top-Spielerinnen der FIFA wegen der geplanten Austragung der Frauen-Weltmeisterschaft 2015 in Kanada auf dem ungeliebten Polyethylen-Untergrund mit einer Klage.
Dabei bezeichnen die Spielerinnen das »zweitklassige« Geläuf als »diskriminierend und illegal« für Weltklasseathletinnen. Die Wahl des Belages verletze die Menschenrechte und fördere zudem die Gefahr von Blessuren, heißt es in dem vierseitigen Protestschreiben weiter. »Der Platz in Vancouver beispielsweise ist eine Frechheit, das ist Beton. Die Verletzungsgefahr ist riesig«, sagte die deutsche Nationaltorhüterin Angerer.
Der von der renommierten US-amerikanischen Anwaltskanzlei Boies, Schiller und Flexner aufgesetzte Brief der Fußballerinnen liegt dem Weltverband FIFA sowie dem Kanadischen Fußball-Verband (CSA) nach eigenen Angaben vor. Kommentieren wollten sie den Vorstoß der Spielerinnen zunächst nicht.
In dem Schriftsatz kündigen Europameisterin Nadine Angerer sowie Spielerinnen wie die Ex-Weltfußballerin Abby Wambach und Alex Morgan (beide USA) an, dass sie gegen die beiden Verbände klagen würden, falls die FIFA und das WM-Organisationskomitee der CSA sich in punkto Kunstrasen nicht auf einen Dialog einlassen wollten. »Wir sind in diesem Fall darauf vorbereitet, juristische Schritte einzuleiten, die erfolgreich sein werden«, heißt es.
Doch die Fronten scheinen verhärtet, eine Lösung ist nicht in Sicht. FIFA-Präsident Sepp Blatter hatte erst zu Beginn dieser Woche betont, dass Kunstrasen die »Zukunft des Fußballs« sei. »Es gab Zeiten, in denen das Spielen auf künstlichem Untergrund ein Alptraum war. Kunstrasen war wie Teppich auf Beton. Doch die Qualität hat sich stark verbessert«, sagte Blatter, der angeblich schon die Männer-Weltmeisterschaft 2010 auf dem pflegeleichten Grün austragen lassen wollte.
Nicht nur die deutsche Nationalkeeperin Angerer, die derzeit beim US-amerikanischen Meister Portland Thorns spielt, ist da ganz anderer Meinung als Blatter. »Ich hoffe, dass die FIFA noch was macht, so ist das peinlich.« In Vancouver findet das Finale der WM 2015 (vom 6. Juni bis 5. Juli) statt.
Auch die Bundestrainerin Silvia Neid machte ihrem Unmut über die Retortenspielflächen Luft. Das sei ein »No-go« bei einer Frauen-WM. »Wir werden als Versuchskaninchen verwendet«, ließ sich Neid in dem Protestbrief zitieren. Fußball auf Kunstrasen sei »ein vollkommen anderes Spiel. Die FIFA muss sicherstellen, dass wir auf einem geeigneten Untergrund spielen«, forderte die 50-Jährige.
Die Endrunde im kommenden Sommer in Kanada wäre die erste WM-Veranstaltung für A-Nationalmannschaften, die auf Kunstrasen ausgetragen wird. Derzeit findet dort die Weltmeisterschaft der U20-Juniorinnen statt - ebenfalls auf dem ungeliebten Geläuf.
Unter Sportmedizinern ist der Kunststoffteppich umstritten, weil er meist stumpfer als Naturgras ist. Da die Schuhsole fester verankert ist, wirken größere Drehkräfte auf Gelenke und Bänder.
Setzt sich die FIFA durch, kann sich Neid vielleicht Tipps bei Weltmeistertrainer Joachim Löw holen: Die Männernationalmannschaft hatte in der WM-Qualifikation 2009 in Russland (1:0) sowie in der EM-Qualifikation 2010 in Kasachstan (3:0) auf Kunstrasen antreten müssen. Damals hatte Teammanager Oliver Bierhoff in der Diskussion über das Plastikgras eindeutig Stellung bezogen: »Es darf keine Entschuldigung für uns sein, sich dort schwächer zu fühlen als auf normalem Rasen.« SID/nd
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