Die Konjunkturlok lahmt
Die deutsche Wirtschaftsleistung schrumpfte im zweiten Quartal 2014 um 0,2 Prozent
»Vorübergehende Bremsspuren« haben die Konflikte rund um die Ukraine und den Nahen Osten laut Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) in der deutschen Wirtschaft hinterlassen. Schließlich vermeldete das Statistische Bundesamt (Destatis) am Donnerstag, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im zweiten Quartal dieses Jahres im Vergleich zum Vorquartal um 0,2 Prozent geschrumpft ist. Damit hinkte die deutsche Konjunkturlok erstmals seit über fünf Jahren der wirtschaftlichen Entwicklung im Euroraum hinterher.
Die Wirtschaft in der Währungsgemeinschaft stagnierte nämlich nach Angaben des EU-Statistikamtes Eurostat in Luxemburg. In der gesamten Europäischen Union stieg das Bruttoinlandsprodukt leicht um 0,2 Prozent. Während die Krisenstaaten Portugal und Spanien einen Anstieg von 0,6 Prozent verzeichnen konnten, ging das BIP in Italien wie in Deutschland um 0,2 Prozent zurück und blieb in Frankreich unverändert.
Als Gründe für die schwache Wirtschaftsleistung in Deutschland nannten die Statistiker aus Wiesbaden den schwächelnden Export und einen Rückgang bei den Investitionen. Auch die »extrem milde Witterung« im ersten Quartal hatte zu Vorzieheffekten insbesondere in der Bauwirtschaft geführt, weshalb die Wirtschaftsleistung damals relativ stark um 0,7 Prozent zulegte. Das machte sich nun negativ bemerkbar, indem das BIP das erste Mal seit 15 Monaten wieder zurück ging.
»Möglicherweise ist die deutsche Wirtschaft wegen der Krisen bereits in eine leichte Rezession abgeglitten«, sagte der Konjunkturchef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), Ferdinand Fichtner. So könnten sich die psychologischen Effekte »in Europa durchaus in einer allgemeinen Investitionszurückhaltung niederschlagen und damit insbesondere auch die deutschen Exporteure treffen«, so Fichtner.
So ist der Auftragseingang im Verarbeitenden Gewerbe bereits im Juni um 3,2 Prozent eingebrochen. Besonders stark betroffen waren dabei die Auslandsaufträge mit einem Minus von 4,1 Prozent - bei Aufträgen aus dem Euroraum kam es sogar zu einem Rückgang um 10,4 Prozent. Diese Werte sind insofern ein schlechtes Signal, da Rückgänge bei den Aufträgen als Frühindikatoren für eine schwächelnde Konjunktur gelten. Insofern ist auch das allgemeine Bild Deutschlands als Konjunkturlok Europas nicht ganz stimmig, da die deutsche Wirtschaft weniger der europäischen Auftrieb gab, als vielmehr vom übrigen Währungsraum als Absatzmarkt profitierte.
Für Wirtschaftsminister Gabriel ist der Abschwung jedoch nur vorübergehender Natur. »Die Wachstumsraten in Deutschland dürften im weiteren Verlauf dieses Jahres wieder in den positiven Bereich zurückkehren«, erklärte der SPD-Chef. Für die Entwicklung komme es entscheidend darauf an, den »wirtschaftlichen Kurs zu halten«. Beim gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) ist man nicht ganz so optimistisch. »Ich würde mich nicht darauf verlassen, dass die Wirtschaft wieder anzieht«, meinte der IMK-Konjunkturexperte Andrew Watt gegenüber dem »nd«. Die Krise verunsichere zunehmend Unternehmen und Konsumenten. »Dem sollte man auf der europäischen Ebene mit einer weiteren Lockerung der Geldpolitik und im nationalen Rahmen mit Lohnzuwächsen und verstärkten öffentlichen Investitionen entgegenwirken«, so Watt.
Ähnliche Forderungen hat auch der wirtschaftspolitische Sprecher der LINKEN, Michael Schlecht. Ihm zufolge muss die Binnenwirtschaft in Deutschland »massiv gestärkt werden, vor allem durch mehrjährige Lohnzuwächse von jeweils vier bis fünf Prozent«. Für Schlecht ist der Konjunktureinbruch nämlich maßgeblich eine Folge der »aggressiven Wirtschaftspolitik« von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Wer die Zerrüttung der Wirtschaft in der Eurozone betreibe, dürfe sich nicht wundern, »wenn dies letztlich auf Deutschland zurückschlägt«.
Die Auswirkungen der Ukraine-Krise hält der LINKE-Politiker hingegen für begrenzt. Zwar seien die Sanktionen nicht sinnvoll, da sie Arbeitsplätze in einzelnen Betrieben gefährdeten. »Gesamtwirtschaftlich sind sie aber keine große Gefahr für die deutsche Konjunktur, da der russische Exportanteil sehr gering ist«, so Schlecht.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.