Embargo lässt weltweite Agrarmärkte kalt
Lebensmittelexporteure nutzen Umwege, um Putins Boykott zu umschiffen
EU-Agrarkommissar Dacian Cioloş macht sich keine Sorgen: »Erzeuger aus der gesamten EU können beruhigt sein.« Für diese Gelassenheit gibt es zwei gute Gründe. Zum einen trifft der russische Importstopp von Lebensmitteln aus der EU, den Vereinigten Staaten und Kanada nur einen verhältnismäßig kleinen Markt: Russland importierte im vergangenen Jahr aus der Europäischen Union Lebensmittel im Wert von 16 Milliarden Euro - was nur etwa vier Prozent aller Agrarausfuhren der EU-27-Länder entspricht. Beträchtlicher sind Russlandexporte nur für Litauen, Polen und die Ukraine, traditionell die russische Kornkammer. Zum anderen dürfte der studierte Agraringenieur Cioloş damit rechnen, dass die Ausweichmöglichkeiten für die Agrar- und Lebensmittelkonzerne luxuriös sind.
»Natürlich ist das irgendwo spürbar«, sagte der scheidende stellvertretende Institutsleiter des bundeseigenen Thünen-Instituts für Marktanalyse in Braunschweig, Heinz Wendt, im Hintergrundgespräch. Aber ein Einbruch sei das für die Branche nicht. »Da fragt man sich schon, wer schreit da eigentlich jetzt rum?« Das Embargo sei halt ein Schlag ins Kontor einzelner Großunternehmen, die stark im Russlandgeschäft engagiert sind. Klein- und Mittelbetriebe trifft daher der Boykott kaum.
Doch die Großen kennen Auswege. Erleichtert wird dies dadurch, dass es nicht um Sanktionen der EU oder der Vereinigten Staaten geht - letztere erzwingen von westlichen Firmen auch außerhalb der USA Wohlverhalten. So erwartet Ökonom Wendt weiträumige Ausweichbewegungen. Der einfachste Weg: »Es wird ein anderes Land dazwischen geschaltet.« EU-Exporteure führen dann Schweinefleisch in die Türkei, Weizen nach Weißrussland oder Heringskonserven nach Norwegen aus, von wo die Fracht per Schiff oder über Land weiter nach Russland transportiert wird. Häufig werden sich Umleitungen sogar innerhalb des eigenen Konzernverbundes finden lassen. Eine solche Umgehung sollte man eigentlich über Herkunftskennzeichnungen vermeiden können, ergänzt die Handelsexpertin der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, Bettina Rudloff, gegenüber »nd«. Das sei aber selbst bei eigenen Sanktionen »in der Praxis schwer zu kontrollieren«.
Davon profitieren vor allem große Fleischproduzenten, die in Deutschland für knapp die Hälfte der Russlandausfuhren stehen. So haben deutsche Landwirte derweil für das wichtigste Exportprodukt, industriell erzeugtes Schweinefleisch, genügend Absatzziele gefunden. »Wir haben andere Märkte bedient«, wird der Exportleiter des Fleischkonzerns Westfleisch in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« zitiert. Auch Konkurrent Tönnies will »erfolgreich« andere Umschlagplätze erschlossen haben. Dazu zählen dann Japan, England, die Philippinen und China.
All das sind aber dem globalisierten Agrarmarkt »Peanuts«. Letztlich müsse man sich die Größenordnungen anschauen, rät Thünen-Experte Wendt. Zwar werde sich Russland jetzt in Brasilien oder Südafrika nach Alternativen umschauen, aber im Großen und Ganzen stehen die Handelskontrakte für diese Erntesaison und auch weitgehend für 2015 fest. Viel Spielraum sei da nicht.
Wie bei Industrieprodukten ist Russland im Agrarbereich ein zu kleiner Spieler, um den Weltmarkt erschüttern zu können. Wendt: »Es ist weit wichtiger, was in China passiert.«
Politikberaterin Rudloff erwartet ebenfalls, dass die im Trend sinkenden Weltmarktpreise stabil bleiben. »Aber in einzelnen Sektoren kann es in der EU zu Marktdruck kommen: gerade bei den saisonalen und nicht lagerfähigen Produkten wie Obst und Gemüse.« Hier will die EU-Kommission notfalls helfen. Bis Ende November sind 125 Millionen Euro als Finanzspritzen vorgesehen, sollten Ernten auf dem Feld bleiben.
Ob es dazu kommt, bleibt abzuwarten. Auch Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) erwartet für den europäischen Agrarmarkt »eher geringe Auswirkungen«. Und Agrarkommissar Cioloş will jetzt erst einmal in aller Ruhe die Märkte beobachten. Für den 5. September ist ein Sondertreffen der EU-Agrarminister geplant.
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