Sichtbar im Unsichtbaren
Malerei und Grafik von Dieter Gantz in der Solitaire-Galerie
Die Struktur der Kompositionen von Dieter Gantz, der in den 1980er/ 1990er Jahren als Lehrer und Professor an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee wirkte, wird von der Farbe bestimmt, hinter der sich die Zeichnung verbirgt. Den Künstler interessiert das Zusammenspiel von Farbflächen. Einmal schwelgt er in pastoser Farbigkeit, dann wieder scheinen die Kompositionen im immateriellen Licht in eine andere Sphäre hinüberzugleiten.
Bedrohliches wird in albtraumhaften Gestalten und Situationen symbolisiert. In »Spielplatz 1« (2012, Gouache) steht verängstigt ein Kind mit Eimer und Schaufel inmitten einer bedrohlichen Tierwelt. Wie soll es hier spielen können? Die Bildteile sind versatzstückhaft zusammengesetzt. Den Konflikten und Katastrophen der Zeit antwortet der Künstler mit der Gestaltung von Schrecken und Herausforderung. Im »Spiel« (2011, Gouache) ist die anscheinende Fröhlichkeit in einen makabren karnevalesken Totentanz umgeschlagen. Auf dunklem Hintergrund leuchten einzelne, wie von einem Scheinwerfer herausgegriffene musizierende Figuren, ihre verzerrten Bewegungen und Gesten steigern sich wie in einem agonisierenden, unbeholfenen Marionettentanz. Eine geradezu apokalyptische Situation wird hier beschworen. Einerseits zieht es Gantz unwiderstehlich zu einer Art von »Masken-Abbildern«, die die spielerische und groteske Ebene seiner Kunst am deutlichsten reflektiert. Andererseits wird ihm das Leben zur Allegorie von Leben und Vergehen (»Friedhof St. Petersburg I / II«, 1990, Gouache). Die Zeit scheint an der Schnittstelle zwischen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft erstarrt zu sein.
Die Erträge seiner Aufenthalte in Russland, Frankreich oder Italien, aber auch im Umland von Berlin, haben sich in einer klaren Form der Stadt- wie Naturlandschaft niedergeschlagen. Die Zuverlässigkeit architektonischer Ensembles war die Grundlage, die man, vor den Augen des Betrachters, ins Wanken bringen konnte, im Strom der verschiedenfarbigen, wie flickenartigen Applikatur erstickend.
War die Basilius-Kathedrale in Moskau eine echte Verkörperung der russischen Architektur aus den Volksbilderbogen oder gar aus den Märchen, so bilden in Gantz’ Darstellungen von Moskau und St. Petersburg die Glockentürme und Kirchen des 17. Jahrhunderts mit ihren malerischen beweglichen Formen die Kontrastfolie zu dem nicht aufzuhaltenden urbanen Geschehen, das gleichsam die Grenzen des einzelnen Bildes überflutet. Die Malerei strebt zum Fresko, bezieht die Architektur ebenso wie die pulsierende Menschenmenge mit ein. Gerade die Fähigkeit, die Materialität der Welt nicht durch die Dimension oder Faktur des Motivs, sondern durch die Faktur und Farbe der Malschicht wiederzugeben, macht die spezifische Eigenschaft der »beweglichen Malerei« von Gantz aus. Vor den Augen des Betrachters entfaltet sich der Strom des Malens, der nicht nur die Bewegung von Farbe, Licht und Geräusch einbezieht, sondern auch die dargestellten unbeweglichen Gegenstände selbst. So im Stillleben »Regal« (2012, Öl auf Leinwand), einer Aneinanderreihung und Übereinanderhäufung unterschiedlichster, auf der Bildoberfläche verteilter Gegenstände, wo das Auge zu wandern beginnt, von den kleinsten zu den größten Dimensionen geführt wird, dabei die Dinge nicht nur registrierend, sondern auch ordnend und wertend. In »Uckermark« (2011, Öl auf Leinwand) wiederum formuliert Gantz eine beinahe ins Surreale gesteigerte Landschaft, die in sich hermetisch geschlossen ist, sich jeder Außenwelt verschließt und in die einzig die flirrende Sonne ihre Strahlen hineinsenden darf.
Gantz’ Bilder erinnern mitunter an das sowohl spezifisch Aristarch W. Lentulowsche als auch der russischen Künstlergruppe »Karo-Bube« gemeinsame hyperbolisierte »Malerei-Spiel«, in dem die Emotion ganz über den rationalen Gehalt triumphiert. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass die Bilder von Gantz nicht vom Licht des Theaters angestrahlt werden, sondern selbst produzierte Wirklichkeit sind.
Dieter Gantz - Malerei. Solitaire-Galerie, Hermann-Hesse-Str. 64, 13156 Berlin, Mo-Fr 9-15 Uhr, Sa 10-20 Uhr, So 16-20 Uhr, bis 14. September
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