Wenn der Dopingkontrolleur dreimal klingelt
Viele Sportler ärgern die tiefgreifenden Meldepflichten und harten Sanktionen für kleine Fehler - nun treffen die einen Volleyball-Nationalspieler
Für Bundestrainer Vital Heynen kam die böse Nachricht glücklicherweise nicht so kurzfristig vor der WM wie für die deutschen Volleyballfans. Trotzdem hat sich sein Ärger seit Juli nicht gelegt. Mittelblocker Philipp Collin steht nicht im deutschen Aufgebot für das am Samstag in Polen beginnende Turnier, weil er dreimal in 18 Monaten seinen Meldepflichten gegenüber den Dopingkontrolleuren nicht nachgekommen ist. Heynen ist nicht sauer auf den offenbar schlampigen Nationalspieler, sondern auf eine für ihn ungerechte Bestrafung.
»Ich finde es unmöglich, dass jemand seinen Beruf nicht mehr ausüben darf, nur weil er mal am falschen Ort war«, sagt Heynen. Gegen seinen Spieler wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Ihm droht eine Sperre zwischen einem und zwei Jahren. »Wer Philipp Collin kennt, weiß, dass es niemals ein Problem mit Doping gibt. Für ihn halte ich beide Hände ins Feuer«, sagte der Bundestrainer. »Ich hoffe, dass man mal darüber nachdenkt. Wenn klar ist, dass es kein bewusster Fehler ist, sollte er freigesprochen werden.«
Heynen war dabei, als Collin einen seiner drei »missed tests« verdonnert bekam, also einen verpassten Dopingtest. Es geschah groteskerweise, als der Spieler gar nicht kontrolliert werden sollte. »Collin war mit uns im Trainingslager in Düren. Offiziell war er aber noch in Tours bei seinem französischen Verein. Er hatte vergessen, das im Meldesystem zu ändern. In Düren kommt nun der Dopingkontrolleur und Philipp meldet sich freiwillig, doch der Kontrolleur sagt: ›Nein, du müsstest in Tours sein.‹ So hat er einen ›missed test‹ bekommen«, erinnert sich der verärgerte Trainer, der gern die umgekehrte Beweislast wieder abschaffen würde. »Wenn jemand für einen Mord verurteilt wird, muss klar sein, dass es wirklich ein Mord war. Wenn es nicht klar ist, bist du frei. Wenn nun ebenso nicht klar ist, dass ein Sportler bewusst einen falschen Ort einträgt, müsste er auch freigesprochen werden«, so Heynen.
Er plädiert für eine Veränderung des Strafenkatalogs. »Wenn er das bewusst macht, muss er bestraft werden, meinetwegen mit Zahlung eines Monatsgehalts. Aber jetzt wurde sein Arbeitsverhältnis in Tours aufgelöst, weil er gesperrt wird. Dass ist so, als gehst du mal kurz vom Arbeitsplatz weg, um einen Kaffee zu trinken, und dann wirst du rausgeschmissen«, echauffierte sich Heynen, auch wenn der Vergleich hinkte.
Trotzdem sind die »whereabouts« seit Langem ein Zankapfel zwischen Athleten und Dopingjägern. Monatelang im Voraus muss jeder Kaderathlet mitteilen, wo er stündlich für eine unangemeldete Trainingskontrolle auffindbar wäre. Änderungen sind sofort einzutragen. Bei drei Fehlern wird gesperrt. Handball-Nationalspieler Michael Kraus droht dieselbe Sperre wie Collin. Auch Zuspieler Lukas Kampa hat schon einen, weil er nach einem Vereinswechsel seine neue Adresse in Italien nicht rechtzeitig meldete.
Kampas Probleme gehen aber tiefer: »Wir sind 24 Stunden am Tag überwacht. Es fällt mir schon schwer, immer einzutragen, wann und wohin ich mit meiner Familie in den Urlaub fahre oder wann ich meine Oma besuche. Irgendwo ist beim Datenschutz auch eine Grenze erreicht. Ich trage das alles ein, weil ich diesen Sport ausüben will. Aber ich mache es zähneknirschend.«
Kampa zufolge beenden Spieler sogar ihre Nationalmannschaftslaufbahn, wenn sie einen zweiten verpassten Test bekommen. »Sie wollen ihre Karriere im Verein, wo sie ihr Geld verdienen, nicht für die Nationalmannschaft riskieren. Wenn sie ein oder zwei Jahre Sperre bekommen, ist ihr Beruf vorbei.« Mit dem Ausscheiden aus dem A-Kader fiele die Meldepflicht jedoch weg.
Margareta Kozuch ist Spielführerin der deutschen Volleyballerinnen, deren WM kurz nach dem Männerturnier ansteht. Auch sie hat schon einen verpassten Test anhängen, als sie von der NADA im Anschluss an einen Wechsel nach Aserbaidshan noch in Italien gesucht wurde. »Es ist menschlich, dass Fehler passieren, und das sollte in einem Urteil beachtet werden«, wünscht sich die 27-Jährige.
Kozuch fehlt es außerdem an der Freiheit zur Spontaneität. Sie fragte einmal einen Kontrolleur, was zu tun sei, wenn ein Athlet mal nach der Disco nicht da aufwachen will, wo er es vorher geplant hat. »Der meinte dann, man solle noch schnell anrufen, und dann kommt der Kontrolleur am nächsten Morgen und klingelt bei der neuen Bekanntschaft.« Eine mehr als unangenehme Vorstellung. »Es ist ein schwieriges Thema, aber das muss für uns Sportler besser werden«, forderte Kozuch.
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