Potsdam nimmt neu Anlauf
Folge 41 der nd-Serie Ostkurve: Turbine startet eine Saison ohne internationale Wettbewerbe
Seit 43 Jahren schon trainiert Bernd Schröder die Fußballerinen bei Turbine Potsdam, vor dem Auftaktmatch seiner Mannschaft am Sonntag gegen den Herforder SV (14 Uhr im Karl-Liebknecht-Stadion) ist er dennoch so angespannt wie eh und je. »Vielleicht sogar noch ein bisschen mehr«, sagt der 72-Jährige. »Schließlich haben wir diesmal in der Vorbereitung einige neue Dinge probiert.«
Wer weiß, dass der knorrige Traditionalist Schröder Neuerungen gemeinhin nur als lästige Moden ansieht, ahnt, dass sich einiges tut bei den Potsdamerinnen, die in der vergangenen Saison nur Dritte in der Meisterschaft wurden und deswegen erstmals seit Bestehen der Champions League nicht international mitspielen. Wo das Finale doch ausgerechnet vor der Haustür stattfindet: Im Berliner Jahnsportpark.
Für den Klub ist das Verpassen der Königsklasse des Frauenfußballs eine kleine Katastrophe: Einnahmen aus TV-Vermarktung und Eintrittsgeldern fehlen plötzlich, außerdem lädt ein Klub seine Geldgeber und vor allem potenzielle Sponsoren lieber zu Flutlichtspielen mit Liveübertragung ein als zu 14-Uhr-Matches gegen den SC Sand. Und wenn es um Spielerverpflichtungen geht, kommen die Besten natürlich nur ungern zu einem Klub, der nicht international spielt. Trainer Bernd Schröder formuliert das Saisonziel dementsprechend eindeutig: »Wir müssen mindestens Zweite werden. Sonst droht uns ein echter Imageverlust.«
Ob der drohende Ansehensverlust wohl auch ein Anlass war, den Trainerstab zu erweitern? Trainer Schröder sagt, er würde es nicht so formulieren wollen, aber dennoch: Achim Feifel sitzt seit dem Sommer mit auf der Trainerbank bei Turbine. Der 50-Jährige mit DFB-Fußballlehrer-Lizenz war von 2005 bis 2012 Trainer der HSV-Frauen und zuletzt beim russischen Klub FK Rossijanka engagiert. Trainer Schröder nennt Feifel seinen »Wunschkandidaten«, der für die Verbindung von Nachwuchs- und Bundesligateam zuständig sein soll. »Und nach einem Jahr kann man sehen, wie gut es funktioniert«, sagt Schröder.
Die Qualifikation von Feifel spricht allerdings sehr dafür, dass er derjenige ist, der Bernd Schröder beerben soll - falls der legendäre Trainer demnächst seinen Posten als Chefcoach niederlegen sollte, den er seit 1971 bekleidet, als er einen Zettel an die Wandzeitung der Betriebssportgemeinschaft Turbine Potsdam hängte, auf der die BSG nach fußballlustigen Frauen suchte - der Beginn einer Erfolgsgeschichte, die von sechs Titelgewinnen bei DDR-Meisterschaften zwei Europapokalsiegen und sechs Titeln in der Bundesliga handelt.
»Wir sind in Brandenburg der Leuchtturm des Fußballs«, sagt Bernd Schröder. Also will er sicher gehen, was einen Nachfolger anbetrifft. Schröder scheut dabei keine Vergleiche: »Sehen Sie doch mal Manchester United an: Seit dort Alex Ferguson weg ist, klappt nichts mehr. Nun ist Louis van Gaal da, aber trotzdem ist ManU schon aus dem Pokal ausgeschieden.« Ein möglicher Nachfolger bei Turbine müsse sich auf Potsdam besonders einstimmen: »Das ist hier ein Ostverein, da sind die Strukturen familiärer, hier muss man den Leuten manchmal auch ein bisschen mehr Zeit geben.«
Geduldig wird Schröder auch mit seiner Mannschaft sein müssen. In die neue Saison startet Turbine mit einem der jüngsten Kader aller Zeiten. Gleich vier 16-Jährige sind im aktuellen Kader verzeichnet, noch dazu hat der Verein etliche Abgänge zu verkraften, von denen Maren Mjelde (nach Göteborg) der schwerwiegendste Verlust war. Die polnische Nationalspielerin Magdalena Szaj steht neu im Turbine-Aufgebot, dazu kommen fünf neue Spielerinnen aus der eigenen Jugend. Eine spielstarke US-Amerikanerin soll noch verpflichtet werden, wenn die noch laufende US-Meisterschaft beendet ist. »Die Sache steht fest«, sagt Schröder, »offiziell wird es aber erst, wenn in Amerika das letzte Spiel gemacht ist.« Es solle eine Spielerin aus Seattle sein.
Der Kampf gegen die finanzstarken Liga-Schwergewichte Frankfurt, Wolfsburg oder München wird auch in dieser Saison schwer, doch natürlich wollen sich die Spielerinnen davon nicht beirren lassen. »Wir haben trotz der Abgänge und trotz einer aktuell sehr jungen Mannschaft große Qualität im Team. Wir müssen uns schnell finden und einspielen«, sagt Offensivspielerin Julia Simic, die neben den Nationalspielerinnen Tabea Kemme, Pauline Bremer und Jennifer Cramer zu den Stützen der neuen Mannschaft gehört. »Individuell sind die Konkurrenten besser bestückt, wir müssen als Team dagegenhalten«, predigt auch Schröder. Das sei er aber seit Jahren gewöhnt: Schließlich habe die gesamte Bundesliga von der Potsdamer Spielerausbildung profitiert. »Schauen Sie in die Kader der Bundesliga, da gibt es nur zwei Teams ohne Spielerinnen, die mal in Potsdam gespielt haben.«
Man müsse aber auch sehen, dass von den 60 Mädchen, die am Sportinternat trainieren, eben nicht alle in der ersten Frauenmannschaft landen können. Und die herausragenden Spielerinnen würden auch besonders gerne von wirtschaftsstärkeren Vereinen wie Wolfsburg oder Frankfurt engagiert. Der Trainer sieht es gelassen: »So ist eben das Geschäft.«
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