Keine Lust auf Leuchttürme
Hamburg fehlt ein Olympiastadion, die Sportstätten sind marode und viele Bürger des Gigantismus überdrüssig
Im »Kaisersaal« des Hamburger Rathauses sind die Angestellten des ehrwürdigen Hauses aristokratischer als der Plebs, der sich heute hier tummelt. Unter den marmornen Büsten der Herren Bismarck, der mit Hilfe seines »Sozialistengesetzes« etliche der Anwesenden ins Gefängnis gebracht hätte, und Kaiser Wilhelm I. wurde an einem Dienstagabend auf Einladung der Bürgerschaftsfraktion der LINKEN über die Olympischen Spiele und eine eventuelle Bewerbung Hamburgs diskutiert.
Man muss vielleicht damit anfangen zu erklären, wie das Thema Olympische Spiele in Hamburg auf das, was man heute politische Agenda nennt, geraten ist. Das Thema köchelte in einigen Kreisen seit Jahren, schon vor der 2003 nicht zuletzt durch Arroganz und eine miserable nationale Kampagne gegen Leipzig verloren gegangenene Bewerbung für die Olympischen Spiele 2012. Nun wurde es von der Handelskammer, Dietrich Wersich, dem CDU-Fraktionsvorsitzenden und Spitzenkandidaten seiner Partei für die Bürgerschaftswahl in Hamburg 2015, und dem »Hamburger Abendblatt« in die Debatte gezwungen. So vehement, dass sich die mit absoluter Mehrheit regierende SPD genötigt sah, Stellung zu beziehen. Sie sagte, in Person des Innensenators Michael Neumann: »joh«.
Der Präses der Handelskammer, Fritz Horst Melsheimer, richtete bei seiner Schlussansprache zum Jahr 2013 im Börsensaal der Handelskammer ein Wort in Bezug auf die Spiele an den anwesenden Ersten Bürgermeister Olaf Scholz: »Also, Herr Bürgermeister - ich nehme Sie beim Wort, packen Sie es an!« Hinter der Kammer stecken die Mächtigen dieser Stadt: Großunternehmen wie die Otto Group, die schon die erste Bewerbung unterstützte, Reeder und Kaufleute, die sich eine Verbesserung dessen versprechen, was sie unter Standort verstehen. Und Geld.
Es gibt aber auch Leute in der Stadt, die nach dem Debakel mit der Elbphilharmonie von Prestigeobjekten die Nase voll haben. Eine Kostensteigerung um das Zehnfache, von 77 Millionen Euro auf etwa 789 Millionen Euro, und eine Verspätung der Fertigstellung von 2010 auf etwa 2017 sind keine gute Werbung.
So haben die kratzbürstigen Bewohner von Hamburg-Mitte erst kürzlich das Projekt einer Seilbahn über die Elbe, die Besucher zu den Musicaltheatern auf die andere Elbseite hätte bringen sollen, die privat finanziert und mit anderen Versprechungen garniert war, bei einem Bürgerentscheid mit 63 Prozent abgelehnt. Die vom Vorarlberger Seilbahn-Unternehmer Artur Doppelmayr finanzierte Kampagne fand, kaum journalistisch gefiltert, ihr Echo im »Hamburger Abendblatt«, das unter erheblichem Auflagenverlust leidet und sich nach seinem Verkauf von der Springer AG zur Funke Mediengruppe in Essen noch enger an die Wirtschaft der Stadt kuschelt. Nun bleiben, nachdem die Seilbahn in die Elbe geplumpst ist, nur noch die Olympischen Spiele als »Leuchtturmprojekt«, wie dies die Befürworter nennen.
Es kursieren Zahlen, die politisch sind. Die Handelskammer rechnet mit Gesamtkosten von 6,5 Milliarden Euro, ein Olympiastadion hat die Stadt im Unterschied zum nationalen Mitbewerber Berlin nicht. Es fehlen viele der vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) verlangten Sportstätten und Trainingsanlagen oder sie sind in einem bedauernswerten Zustand.
Bei der Veranstaltung im »Kaisersaal« berichtete ein Trainer von der von ihm und seinen Schützlingen frequentierten Sporthalle. »Das Wasser beim Duschen ist kalt«, und aus der Toilette laufe Wasser heraus. Er habe dem Sportamt schon mehrfach gesagt, dass dies geändert werden solle. Doch nichts sei geschehen. Kein Einzelfall. Schulsporthallen sind in einem Zustand, dass Jogger im Stadtpark mit schlecht gelaunten Schülern rechnen müssen, die ihren Schulsport im Freien abhalten müssen. Das offizielle Hamburg, egal wer die Regierung bildet, interessiert sich seit Jahrzehnten weder für Breitensport noch für Bildung. Entsprechend ist der Zustand von Schulen, Universität und Sportanlagen.
Die Handelskammer hat den Sport entdeckt, sagt der Syndikus und Vorsitzende von deren »Zukunftskommission Sport«, Reinhard Wolf, im »Kaisersaal«. Sie habe, mit anderen zusammen, eine »Dekadenstrategie« entwickelt, in der zwar leckende Toiletten nicht direkt vorkommen, aber Olympische Spiele. Als die »Dekadenstrategie« vorgestellt wurde, war noch Günter Ploß Vorsitzender des Hamburger Sportbundes, von dem es heißt, er stehe den Spielen eher skeptisch gegenüber, seit Ende Juni ist es Jürgen Mantell, früherer Bezirksamtsleiter von Hamburg-Eimsbüttel.
Ums Thema Olympia hatte es im Hamburger Sportbund - 574 665 Mitglieder, 802 Vereine und 54 Fachverbände - erbitterte Auseinandersetzungen gegeben. So erbittert, dass der bei der Wahl Mantells anwesende Präsident des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB), Alfons Hörmann, sagte: »Wenn es Ihnen nicht gelingt, die Reihen zu schließen, dann wird eine mögliche Olympiabewerbung Hamburgs nur ein Traum bleiben, der schnell platzen könnte.« Der Sportbund wird nicht darum herum kommen, seine bislang nicht gefragten Vereine um ihre Meinung zu den Spielen zu bitten.
Sozialdemokrat Mantell ist verheiratet mit Thea Bock, die in den frühen 1980er Jahren mit Thomas Ebermann und anderen die Grün-Alternativen Liste (GAL) gründete. Diese linken Grünen von damals hätten im Unterschied zu den heutigen Hamburger Grünen wohl keine Sekunde darüber nachgedacht, ob sie für oder gegen Olympische Spiele sind. Die aktuelle Grüne Parteispitze ist für, die Basis wohl eher gegen die Spiele. Für die Linkspartei ist »das Konzept von Bürgermeister Olaf Scholz ein reines Gentrifizierungsprogramm mit allen Nachteilen für die Bevölkerung«, so Mehmet Yildiz, sportpolitischer Sprecher der Hamburger Linksfraktion.
Eine kleine (No)-Olympia-Gruppe hat sich vor ein paar Wochen in einer Hamburger Kneipe gebildet. Unter Beteiligung von Dissidenten der Handelskammer, der SPD, der Grünen, der LINKEN und sozialer Bewegungen. Noch bleibt das »No« in Klammern, denn vielleicht zieht das Thema wie ein Tief weiter. Unter den Hamburger »Spiele-Verderbern« herrscht die Überzeugung, auch Berlin solle besser von Olympia verschont bleiben. »Das wünscht man keinem«, sagte einer am Schluss der Veranstaltung.
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