Geschenke für den Krieg

Deutschland liefert Waffen an Kurden-Milizen - Ukraine möchte auch welche haben

  • Jürgen Reents
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Bundesregierung verteidigte am Montag im Bundestag ihre Entscheidung, Waffen an die kurdischen Milizen in Irak zu liefern. Das Geschenk hat einen Wert von rund 70 Millionen Euro. Im Kern ging es jedoch um mehr: um eine stärkere Bewaffnung der deutschen Außenpolitik.

Bundeskanzlerin Angela Merkel selbst war es, die im Bundestag das Thema weit über die geplanten Waffenlieferungen hinaus öffnete: Sie rief die kontroversen Diskussionen um den »Einsatz« der Bundeswehr in Jugoslawien und Afghanistan in Erinnerung und sprach über den NATO-Gipfel am Donnerstag in Wales. Dieser wird sich vor allem mit der Ukraine befassen. Genauer zu sagen wäre: Er wird weiteren Brennstoff für den dortigen Konflikt zusammentragen. Der zum Oktober scheidende NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen kündigte bereits an, das Militärbündnis werde eine schnelle Eingreiftruppe für Osteuropa als »Speerspitze« beschließen.

Russland und der Islamische Staat - das sind die beiden Mega-Bösen, die die deutsche Außenpolitik derzeit kennt. Sie haben nicht das Geringste miteinander zu tun, sind grundverschieden, doch die Drohbilder werden gleichermaßen benutzt, um eine »größere Verantwortung« Deutschlands in der Welt einzufordern und zu behaupten.

Natürlich betonten die Kanzlerin wie andere Koalitionsredner, dass niemand so friedlich sei wie Deutschland. Aber, so Merkel: »Es gibt Situationen, in denen nur noch militärische Mittel helfen, um wieder eine politische Option zu erhalten.«

Im Falle der Kriegs- und Krisenregion in und rund um Irak sind es die von einigen als »Tabubruch«, von anderen als »Ausnahme« bezeichneten Waffengeschenke an die kurdischen Milizen, die als Verantwortung bemäntelt werden. Sie sind es nicht. Denn es wissen doch alle, dass die Existenz, der Aufschwung und der brutale Terror solcher Organisationen wie Islamischer Staat nicht militärisch zu besiegen sind. Schließlich liegen ihre Ursachen eben in einem Krieg, den der Westen seit Jahrzehnten ideologisch und militärisch gegen arabische und islamische Gesellschaften führt, in einer tiefen Enttäuschung dort lebender Menschen über den armierten westlichen »Demokratieexport«, nicht zuletzt mithin im US-Krieg in Irak, der das Land in die völlige Instabilität getrieben hat.

Das Argument, mit den Waffenlieferungen einen Völkermord zu verhindern, ist ähnlich raubeinig, wie es die Fabel von Joschka Fischer einst war, Serbien den Krieg zu erklären, um ein neues Auschwitz zu verhindern. Die Bundeskanzlerin hat, wohl ungewollt, das Augenmerk so auf einen tatsächlichen Zusammenhang gelenkt: Was zunehmend bewaffnet wird, ist die deutsche Außenpolitik.

Hinsichtlich der Ukraine dementieren Angela Merkel und ihre Koalition jedwede militärische Einmischung, doch schnüren etliche Politiker und Militärs in der NATO bereits die Kampfstiefel für alle Fälle. Der ukrainische Präsident Poroschenko hat verschiedentlich, mit lauter Unterstützung aus Polen, seinen Wunsch sowohl nach Waffenhilfe wie nach einem Beitritt in das westliche Militärbündnis geäußert, weil dies die Rampe ist, um einen »Bündnisfall« herbeizuführen. US-Senatoren beider Parteienlager, Demokraten wie Republikaner, befeuern diesen Wunsch vehement: »Gebt ihnen die Waffen, die sie brauchen«, fordert etwa John McCain aus Arizona. Angekündigt sind neben der von Rasmussen so titulierten »Speerspitze« auch fünf neue Stützpunkte der NATO in den baltischen Staaten und in Polen.

Der polnische Regierungschef und künftige EU-Ratspräsident Donald Tusk warnte in seinem gestrigen Gedenken an den Überfall Nazi-Deutschlands auf sein Land vor 75 Jahren, die Parole »Nie wieder Krieg« dürfe »kein Manifest der Schwachen« sein. Litauens Staatschefin Dalia Grybauskaite warf Russland vor, sich »praktisch im Krieg gegen Europa« zu befinden, und Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn orakelte, die Diplomatie stoße »angesichts der immer neuen russischen Aggressionen an ihre Grenzen«. Im Bundestag sind es die Grünen, die eine nahezu waffenstarrende Rhetorik pflegen und »entschiedene Reaktionen gegen Russland« verlangen - so deren Fraktionschef Anton Hofreiter gestern in der »Irak-Debatte« im Bundestag.

Die Öffentlichkeit wird Augenzeuge einer Entwicklung, in der sowohl die realen Waffenlieferungen wie die irrealen Phantasien einer angeblichen »Verantwortungsmacht« als Geschenke an den Krieg ausgereicht werden. Es ist eine ideologische Hinrichtung, an der - bei bislang ausbleibender Empörung - viele Medien aktiv einen eigenen Anteil nehmen. Da wurden Hilfskonvois zu »Putins unheimlicher Kolonne« (Springers »Welt«) und die Opfer des wohl abgeschossenen MH17-Fluges trotz immer noch unaufgeklärter Ursache zu »seinen Toten«, Putins eben (»Spiegel online«).

Die »Bild«-Zeitung titelte gestern, 1. September, Anti-Kriegstag: »Putin greift nach Europa«. Die wohl jenseits von Politik und Medien zu klärende Frage wäre: Kann Europa, kann Deutschland irgendwann wieder zu waffenloser Vernunft greifen?

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