Rot-rote Sommer Sechs bis Zehn

Auf den Fersen der Spitzenkandidaten im brandenburgischen Landtagswahlkampf

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 8 Min.
Männer aus dem Volk sind Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) und Finanzminister Christian Görke (LINKE). Das könnte passen für fünf weitere Jahre Rot-Rot in Brandenburg.

Die Herren auf der Bühne tragen alle Anzug: Ministerpräsident Dietmar Woidke, die Ex-Ministerpräsidenten Matthias Platzeck und Manfred Stolpe, Landtagsfraktionschef Klaus Ness und Außenminister Frank Walter Steinmeier. Nur der SPD-Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel hat sich zum Sommerfest der brandenburgischen SPD im Volkspark Potsdam anders gekleidet. Über ein lässiges Shirt warf er eine praktische Watteweste und steht nun so am Rednerpult. »Ich dachte, das ist hier ein Sommerfest und keine Konferenz«, rechtfertigt Gabriel schmunzelnd seine Garderobe und hat die Lacher damit gleich aus seiner Seite. Dann lobt er Woidke: »Ich kenne den Dietmar schon ein paar Jahre. Was ich an ihm gut finde: Er ist ein Typ aus dem Volk.« Der bodenständige Agraringenieur Dr. Dietmar Woidke lebt auf einem Dorf in der Lausitz.

Die Stimmung ist gut. In der Abenddämmerung tanzen einige Paare. DJ Funky Henning springt vor die Bühne und beginnt einen Sprechgesang über den »roten Sommer«, den er eine Textzeile später zum »rot-roten Sommer« steigert. Er hält das Mikrofon Richtung Publikum. »Rot-roter Sommer«, soll das Publikum ihm nachsingen, aber niemand tut das.

Die rot-rote Koalition erlebt gegenwärtig ihren fünften Sommer. In Anspielung auf das Parfüm Chanel No. 5 setzt die Linksfraktion in ihrer Internetwerbung eine soziale Duftnote »Sommer Nr. 5«. Ob es jedoch nach der Landtagswahl am 14. September in Brandenburg rote Sommer Sechs bis Zehn geben wird, das bleibt unklar. Zwar erklärte Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), er sehe keinen Grund, den Regierungspartner zu wechseln. So lobt er auf dem Sommerfest das gemeinsam mit der Linkspartei eingeführte Schüler-Bafög und stellt in Richtung CDU klar: »Wer das angreift, kann mit uns keine Koalition bilden.«

Doch SPD-Generalsekretärin Klara Geywitz ist geradezu krampfhaft bemüht, alle denkbaren Optionen offen zu halten. »Über mögliche Koalitionen wird erst nach der Wahl entschieden«, sagt sie und versichert, selbstverständlich würde die SPD auch mit der CDU sprechen. Dabei liegt es auf der Hand, dass es in den Wahlprogrammen von SPD und LINKE von Überschneidungen nur so wimmelt. Doch Geywitz genießt in SPD-Kreisen den Ruf, wenig Sympathie für die LINKE zu hegen. Der SPD wandte sie sich als Jugendliche zu, als der frühere SED-Kreissekretär Rolf Kutzmutz 1993 als PDS-Kandidat beinahe die Potsdamer Oberbürgermeisterwahl gewann und sie sich dachte, das dürfe doch nicht sein, dass die Kräfte der Vergangenheit ans Ruder gelangen.

Ob die CDU nur warm gehalten wird, damit die LINKE sich in Koalitionsverhandlungen nicht übermütig gebärdet, oder ob es ein echtes Interesse der SPD an den Christdemokraten gibt, darüber sind sich die Beobachter des politischen Geschehens nicht ganz einig. Auf dem Sommerfest verrät ein linker Sozialdemokrat, dass er sich Rot-Rot wünsche, im Moment aber darauf wetten würden, dass es anders läuft. Er hofft, dass sich Woidke durchsetzt. Der gilt zwar nicht als ausgesprochen links, sondern als pragmatisch. Woidke könnte aber nüchtern analysieren, dass die LINKE sich als verlässlicher Partner erwies, die CDU jedoch als unberechenbare Truppe.

Die Schuld des CDU-Spitzenkandidaten Michael Schierack ist der Eindruck eines konservativen Chaosvereins freilich nicht. Mit ihm als Landesvorsitzendem kehrte in der vorher von innerparteilichen Grabenkämpfen zerrütteten CDU wenigstens ein wenig Ruhe ein. Unberechenbar bei Schierack selbst sind nur die Formulierungen, die er von sich gibt. Der Quereinsteiger in die Politik scheint, wenn er einen Satz anfängt, oft selbst nicht zu wissen, wie er ihn zu Ende bringen will. Das zeigt sich wieder bei einem Wählerforum, zu dem die Industrie- und Handelskammer Cottbus ins Druckhaus der »Lausitzer Rundschau« einlud. Eigentlich ein Heimspiel für Schierack, der in Cottbus lebt. Allerdings bleiben viele Stühle leer. 300 Gäste aus der Wirtschaft waren vollmundig angekündigt. Tatsächlich verfolgen nur 25 Zuhörer die hochkarätig besetzte Gesprächsrunde. Neben Schierack zwängen sich Grünen-Fraktionschef Axel Vogel und Sozialminister Günter Baaske (SPD) auf ein Sofa und daneben setzen sich Wirtschaftsminister Ralf Christoffers (LINKE) und der FDP-Landesvorsitzende Gregor Beyer in die Sessel.

Etwas verwundert über das geringe Interesse an der Veranstaltung, streiten die fünf munter drauflos, denn sie können zumindest erwarten, dass die moderierenden Journalisten die Attacken und Paraden der Politiker hernach in der »Lausitzer Rundschau« widerspiegeln, so dass sich die verbale Anstrengung trotzdem lohnt. Schierack schlägt sich gar nicht so übel. Er macht das besser als erwartet. Immerhin eilt ihm der Ruf voraus, er könne bei seinen Reden die Menschen nicht mitnehmen. Selbst die herbeigeeilten Parteifreunde sollen bei einem Wahlkampfauftritt in Templin keine Gelegenheit gefunden haben, ihren Vorsitzenden zu beklatschen. In Cottbus gibt Schierack sein Bestes, zeigt sich aufgeweckt. Immer wieder schnellt seine linke oder seine rechte Hand nach oben. Er signalisiert: er möchte etwas bemerken, einwenden, erwidern. Doch selbstverständlich geht wieder einiges daneben. Schierack verhaspelt sich oder erzählt schlicht Unsinn. Zum Beispiel: »Ich habe eine Praxis, die schläft zur Zeit mit mir.«

Der kultivierte Bildungsbürger Michael Schierack ist Professor der Medizin, Orthopäde. Er praktizierte nach seinem Wechsel in die Politik nebenbei weiter. Manche Patienten schwören auf seine Behandlungsmethoden. Andere bemängeln, wie lange es dauert, einen Termin bei ihm zu bekommen, was immerhin ebenfalls auf ein Lob seiner therapeutischen Fähigkeiten hinausläuft. Schierack hätte es nicht nötig, sich in der Politik zu blamieren. Er hätte als angesehener Arzt sein Auskommen. Folgerichtig die Frage des Landtagskorrespondenten der »Rundschau«: Spitzenkandidat, warum tue er sich das an? »Ich tue mir das nicht an, ich mache das aus Überzeugung«, beteuert Schierack.

Immerhin wird es der CDU mit ihm wohl gelingen, das zweitbeste Landtagswahlergebnis der märkischen CDU seit 1990 hinzulegen. Seinerzeit holte die Partei mit dem letzten DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel 29 Prozent der Stimmen. Umfragen sehen die CDU derzeit bei 27 Prozent. Nur die Hälfte der Brandenburger interessiert sich für Landespolitik und nur jeder Zehnte informiert sich. Da schaden die ungeschickten Äußerungen des CDU-Spitzenkandidaten der Partei nicht allzu sehr. Es bekommt ja kaum jemand mit.

LINKE-Spitzenkandidat Christian Görke ist um eine griffige Formulierung nie verlegen. Nur eins macht ihm zu schaffen. Er verfällt manchmal in seinen heimatlichen Rathenower Dialekt, der für fremde Ohren gewöhnungsbedürftig ist, ihn andererseits aber auch sympathisch macht. Dialekte sind volkstümlich, zeigen Verwurzelung an. Görkes Vater hat seinen Sohn trotzdem schon ermahnt, darauf achtzugeben, wenn er im Fernsehen spricht. Görke nimmt sich seitdem zusammen. Doch wenn er aus dem Potsdamer Finanzministerium nach Hause kommt - Christian Görke ist seit Jahresbeginn Finanzminister und Landesparteichef - und wenn er dass Ortsschild von Rathenow passiert, »dann brechen alle Dämme«, gesteht der 52-Jährige. Er tut das in ungewöhnlicher Runde, beim Besuch einer Häftlingswohngruppe in der Justizvollzugsanstalt Brandenburg/Havel. In diesem Moment taut Görke, der ohnehin nicht zu übertriebener Förmlichkeit neigt, richtig auf. Die Verbundenheit mit seiner Heimat ist ihm anzumerken. Das zeigte sich auch bei seinem Jubel nach dem Fußballspiel von Optik Rathenow gegen den FC St. Pauli. Zwar verlor Optik die Pokalbegegnung. Doch die Mannschaft schoss ein Ehrentor, erspielte sich Anerkennung. Görke wird seinen Heimatwahlkreis wahrscheinlich gewinnen. Doch als Spitzenkandidat scheint nicht viel mehr als ein Ehrentor drin zu sein. Ein Sieg im Landesmaßstab darf ausgeschlossen werden. 27,2 Prozent fuhr die LINKE bei der Landtagswahl 2009 ein, in der jüngsten Umfrage lag sie bei 21 Prozent. Verluste sind also programmiert. Die Frage ist nur, wie hoch sie sein werden.

»Wir müssen zulegen«, ermuntert Görke seine Genossen. »Jeder Infostand zählt, jedes Gespräch, jede Aktion.« Er selbst schont sich nicht. Seit Wochen ist er täglich von früh bis abends unterwegs. Diesen Wahlkampfmarathon hätte er sich nicht antun müssen. Das ist vielleicht das einzige, was er mit dem CDU-Kandidaten Schierack gemeinsam hat. Nicht jeder Minister, nicht jeder Abgeordnete hat eine echte Alternative zur Politik. Aber Görke hat eine. Er könnte sich wieder die Turnhose anziehen und Sport unterrichten. Ehemalige Schüler und deren Eltern schwärmen von ihm. Der Lehrerberuf war Görke in seinem christlich geprägten Elternhaus in die Wiege gelegt. Der Vater war Mathematik- und Physiklehrer. Die Schwester ist auch Lehrerin geworden. Es sei irgendwie logisch gewesen, dass er Pädagogik studierte, sagt Görke. »Aber was mir überhaupt nicht gefiel, war Mathe und Physik.« Ihn reizten Sport, Geschichte und Geografie, gewählt hat er die Fächer Sport und Geschichte.

Nach drei Jahren Wehrdienst als Oberwachtmeister der Volkspolizei in die Reserve entlassen, trat Görke 1985 in die SED ein. Damals von Michail Gorbatschows »Glasnost« beeindruckt, wünschte Görke sich, dass die DDR »einmal kräftig durchgelüftet wird«. Daran erinnert er sich noch lebhaft. Wegen der »sozialen Idee« sei er während der Wende geblieben, als viele die Partei verließen. Viele seien inzwischen neu dabei. Er fühle sich heute sehr zufrieden in der LINKEN, sagt Görke. Und weil er sich so wohl fühlt, verfällt er wieder in seinen Rathenower Dialekt.

Regieren ist anstrengend, dass hat er am eigenen Leibe gespürt. Immer sei was zu löten, erzählt er. Aber es macht ihm trotzdem Spaß. Eine Fortsetzung ist möglich. Dass DJ Funky Henning die Besucher des SPD-Sommerfestes nicht animieren kann, »rot-roter Sommer« zu singen, das muss nichts heißen.

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