»Alles muss wieder auf Null«
Die Endlagerkommission tagt zwar, kommt bei der Lösung ihrer Aufgabe aber nicht voran
Vor vier Monaten ging die Atommüllkommission an den Start. Das Gremium soll Empfehlungen für die Suche nach einem Endlager für hochradioaktiven Abfall erarbeiten und auch das im vergangenen Jahr beschlossene Endlagersuchgesetz evaluieren. Weil sich die Kommission bislang vor allem mit sich selbst beschäftigt, verlangen Umweltschützer einen Neustart.
Die meisten Gruppen aus der Umwelt- und Anti-AKW-Bewegung hatten eine Mitarbeit in der Kommission ohnehin abgelehnt. Die Endlagersuche dürfe nicht auf eine Lagerstätte für die stark strahlenden Abfälle verengt werden, argumentierten sie. Das Atommüllproblem sei viel umfassender - in einer kürzlich veröffentlichten Bilanz machten Aktivisten rund 100 Standorte in Deutschland bekannt, an denen Atommüll lagert oder produziert wird. Erst im letzten Moment sprangen der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und die Deutsche Umweltstiftung auf den Kommissions-Zug und besetzten die beiden für Ökoinitiativen freigehaltenen Plätze.
Am 22. Mai kamen die 32 stimmberechtigten Mitglieder das erste Mal zusammen, am 30. Juni gab es die zweite Sitzung. Die beiden Vorsitzenden Ursula Heinen-Esser (CDU) und Michael Müller (SPD) sollen die Treffen im Wechsel moderieren. Bei beiden Terminen stritt man sich vor allem über das eigene Selbstverständnis und über Geschäftsordnungsfragen: Wer darf bei welchen Punkten abstimmen, wird mehrheitlich oder im Konsens entschieden, sollen auch die Arbeitsgruppen öffentlich tagen, gibt es Wortprotokolle?
Auch bei der dritten Sitzung am Montag, bei der Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) zeitweise zu Gast war, ging es zunächst wieder um die Geschäftsordnung und das Arbeitsprogramm. Der LINKE-Abgeordnete Hubertus Zdebel bezeichnete den Auftakt gegenüber »nd« als »schwergängig«. Von der Kommission müsse endlich »ein klares Signal« ausgehen, angesichts der aktuellen und wachsenden Probleme alle Arten von Atommüll zum Thema zu machen.
Diese Probleme sind in der Tat gewaltig. So gibt es für die 26 noch ausstehenden Castoren mit hochradioaktivem Schrott aus der Wiederaufarbeitung nach wie vor keine Zielbahnhöfe. Gorleben wurde im Suchgesetz ausgeschlossen, die Bundesländer zieren sich - dabei wollte Hendricks bis spätestens Ostern 2014 eine Lösung präsentiert haben. In den Kavernen der Atomkraftwerke - so in Brunsbüttel - rosten die Atommüllfässer vor sich hin. Ob und wie sie geborgen werden können, ist unklar. Auch die Castorbehälter machen Sorgen: Zwar ist am Freitag ein neuer Behältertyp für die Entfernung der Brennelemente aus Siedewasserreaktoren genehmigt worden. Doch das Ziel, den hochradioaktiven Kernbrennstoff bis 2016/2017 aus den acht 2011 stillegelegten Meilern raus zu haben, dürfte nicht mehr zu halten sein.
Die Atomwirtschaft bereitet Schadensersatzklagen in zweistelliger Milliardenhöhe vor, will die Rückstellungen für AKW-Abriss und Endlagerung in eine »Bad Bank« auslagern - und hat jetzt auch noch Widerspruch gegen ihre Kostenbeteiligung an den Endlagerprojekten Gorleben und Schacht Konrad eingelegt. Das ist grotesk, weil die AKW-Betreiber gleichzeitig auf eine rasche Inbetriebnahme des für schwach und mittelradioaktive Abfälle vorgesehenen Endlagers Konrad drängen. Zudem droht der Export verstrahlter Brennelemente aus den Hochtemperaturreaktoren Jülich und Hamm in die USA.
Bei ihrem Besuch am Donnerstag im Wendland hatte Hendricks eingeräumt, dass ein Atommüllendlager kaum vor 2050 in Betrieb gehen wird. Bis dahin haben alle Zwischenlager keine Genehmigung mehr. Am Montag erklärte sie, erst Ende des Jahrhunderts werde aller Voraussicht nach das letzte Lager aufgelöst.
Die Anti-Atom-Organisation »ausgestrahlt« sieht die Kommission aber auch deshalb vor dem Scheitern, weil sie sich »viel zu eng entlang den üblichen Berliner Politikabläufen und -spielchen bewegt«. Eine Öffnung hin zu wirklicher Beteiligung der Betroffenen habe es leider nicht gegeben, sagte am Montag »ausgestrahlt«-Sprecher Jochen Stay. »Die Kommission ist in die falsche Richtung aufgebrochen und in einer Sackgasse gelandet. Es braucht einen Neustart - dann allerdings in anderer Zusammensetzung, mit echtem Konsensverfahren und mit der klaren Aufgabe, die Betroffenen von Anfang an umfassend mitbestimmen zu lassen.«
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