Atomausstieg bringt Sachsen ein Müllproblem
Schutt vom niedersächsischem AKW landet auf Deponie bei Dresden
Friedrich Leithoff ließ gestern die Puppen tanzen: Handpuppen, die der Geologe an seine Mitstreiter von der Bürgerinitiative gegen die Deponie Grumbach verteilt hat. Seit zwei Tagen harrten sie bei einer Mahnwache aus, mit der gegen die Lieferung von Bauschutt aus dem AKW Stade in Niedersachsen protestiert wird. Jetzt sind die ersten 20 Tonnen per Lkw in dem Dorf bei Dresden angekommen. Bevor sie in die Deponie gekippt werden, lud das Umweltministerium zu einer vertrauensbildenden Maßnahme: 700 Kilogramm Schutt sollten im Kernforschungszentrum Rossendorf auf ihre Strahlungsintensität hin gemessen werden. Leithoff lässt eine der Puppen wackeln: »Kaspertheater«, sagt er. Von den Protestierenden werde keiner zur Messung mitfahren.
Die ist, glaubt man Rainer Dietze, gar nicht notwendig. Der gelernte Bergmann ist Geschäftsführer der Firma AMAND Umwelttechnik, Betreiberin der Grumbacher Deponie. »Wir bekommen wenig Material, das vorab so genau überwacht wurde«, sagt er. In dem großen Loch am Dorfrand werden seit Jahren Industrieabfälle eingelagert: Gießereisand, Klärschlamm, Erdaushub von Tankstellen oder Fabrikbrachen. Auch 300 Tonnen Bauschutt aus Rossendorf wurden eingelagert, wo die DDR einen Kernforschungsreaktor betrieb. Im Bemühen, die Deponie zu füllen, hat sich Dietze auch um den Auftrag aus Stade beworben, der ihm wegen der Proteste nun schlaflose Nächte bereitet.
Das Atomkraftwerk Stade, westlich von Hamburg an der Elbe gelegen, war 2003 das erste deutsche AKW, das nach dem Beschluss über den Atomausstieg stillgelegt wurde. Nun müssen rund 330 000 Tonnen Beton und Stahl entsorgt werden. 95 Prozent sind normaler Bauschutt, sagt E.on-Sprecherin Almut Zyweck. 2,3 Prozent seien radioaktiver Abfall, der in einem Endlager verwahrt werden muss. Und es gibt Material, das schwach radioaktiv ist: Estrich und Mauerreste aus dem »Kontrollbereich« des AKW etwa. Es darf deponiert werden, wenn Grenzwerte nicht überschritten sind. Laut Zyweck geht es um 5000 Tonnen.
Diese Entsorgung freilich stellt sich als äußerst schwierig heraus. Zunächst wurde der Schutt auf die Deponie Schneverdingen gefahren, 70 Kilometer von Stade entfernt. Nach Protesten kam aus Sorge um das Image des Urlaubsortes der Rückzug. Dann fragte E.on bei 20 niedersächsischen Deponien an, sagt Zyweck. Es gab »keine Annahmebereitschaft«. Ob das am Material, der Menge oder an finanziellen Gründen lag, bleibt offen. Fündig wurde man erst in Sachsen. Schutt aus Stade liegt in Gröbern bei Leipzig, in Wetro in der Lausitz - und nun in Grumbach, 510 Kilometer vom AKW entfernt. André Hahn, sächsischer Bundestagsabgeordneter der LINKEN, schimpft: »Es scheint noch immer zu gelten - was der Westen nicht will, das kommt in den Osten.«
Grumbach. Die Gründe liegen auf der Hand, sagt Friedrich Leithoff von der BI Grumbach: »In Sachsen wurde die Abfallentsorgung in den 90er Jahren privatisiert.« Die Betreiber der vielen Deponien müssten diese auslasten. Das wird wegen des sinkenden Müllaufkommens und geänderter Vorschriften zur Entsorgung zunehmend schwieriger. Müllimporte etwa aus Sizilien sorgten für Schlagzeilen.
Auch Schutt aus AKW ist willkommen - trotz der Warnungen von Umweltschützern. »Atomschutt« solle nach französischem Vorbild in Endlager gebracht und nicht auf konventionellen Deponien gelagert werden, sagt Felix Ekardt, Landeschef des BUND. Er verweist auf die lange Halbwertszeit einiger eingelagerter Elemente. Löse sich die Schutzschicht der Deponie »nach 100 oder 200 Jahren« auf, drohe Radioaktivität in das Grundwasser zu gelangen - mit »unkalkulierbaren Folgen«.
Deponiebetreiber Dietze hält das für überzogen. Der Lößlehm auf den Feldern rund um die Deponie »strahlt von Natur aus stärker als der Schutt aus Stade«. Dennoch dürfte nach den 700 vertraglich zugesicherten Tonnen Schluss sein; die Hoffnung von E.on auf die Lieferung weiterer 1300 Tonnen wird sich wohl nicht erfüllen - spätestens, seit der scheidende sächsische Umweltminister Frank Kupfer einen Brief an seinen Kollegen Stefan Wenzel (Grüne) in Hannover schrieb. Niedersachsen, so forderte der sächsische CDU-Politiker, solle »eigene Möglichkeiten nutzen, um dort entstandenen (…) Bauschutt aus früheren Kernkraftwerken zu entsorgen«. E.on-Sprecherin Zyweck sagte gestern in Grumbach, man werde »eine Lösung mit den Länderministerien finden müssen«. In Deutschland harren noch acht Kernkraftwerke mit neun Blöcken der Abschaltung.
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