Neue Austritte zehren an den Piraten
Nach Ex-Landeschef Lauer gehen nun auch der frühere Fraktionsvorsitzende Höfinghoff und die Neuköllner Bezirksverordnete Helm
Berlin. Bei den Piraten in der Hauptstadt zieht die politische Krise der Partei weitere Kreise. Nach dem früheren Landesvorsitzenden Christoph Lauer haben nun auch Ex-Fraktionschef Oliver Höfinghoff und die bundesweit bekannte Bezirkspolitikerin Anne Helm ihre Mitgliedschaft aufgekündigt. «Die Reaktionen auf Christopher Lauers Austritt haben das Fass zum Überlaufen gebracht», sagte Höfinghoff gegenüber «nd». Er kritisierte zudem die Entwicklung der Piratenpartei in den vergangenen Monaten. Mit der Durchsetzung des sogenannten sozialliberalen Flügels seit der letzten Bundesmitgliederversammlung habe sich der Zustand der Partei weiter rapide verschlechtert. «Das ist für mich untragbar.» Höfinghoff sprach von «relativ unpolitischen Karnickelzüchter», die lediglich «leere Worthülsen» produzieren.
Wie der «Tagesspiegel» meldet, ist in der zu Ende gehenden Woche auch die 28-Jährige Neuköllner Bezirksverordnete Anne Helmd aus der Partei ausgetreten. Sie hatte für Schlagzeilen gesorgt, als sie im Februar 2014 in Dresden gegen Neonazis demonstrierte - dies aber innerhalb der Piratenpartei auf Kritik gestoßen war. Helm hatte auf ihren nackten Oberkörper den Schriftzug «Thanks Bomber Harris» geschrieben - eine Anspielung auf den gleichnamigen britischen Luftwaffengeneral, der Dresden im Krieg bombardieren ließ. Da Helm auch von Neonazis bedroht wurde, musste sie zeitweise untertauchen, die rechtsradikale NOP demonstrierte in Neukölln vor dem Rathaus gegen die Politikerin. Auch sie will ihr Mandat behalten. «Ich bleibe bis zum Ende der Legislatur in der Neuköllner Fraktion”, zitiert der »Tagessiegel« die Ex-Piratin.
Die Krise der Berliner Piraten ist Spiegelbild der bundesweiten Entwicklung der Partei, in die vor einigen Jahren in Teilen der vor allem netzpolitisch und basisdemokratisch orientierten Wählerschaft große Erwartungen und Hoffnungen gesetzt worden waren. Lauer hatte am Donnerstag seinen Austritt erklärt. Bei den Landtagswahlen im Osten spielten die Piraten nur eine kleine Nebenrolle - in Brandenburg erhielten sie 1,5 Prozent, in Sachsen 1,1 Prozent und in Thüringen 1,0 Prozent. Im Frühjahr 2012 hatten die Piraten auf Bundesebene noch Umfragewerte von über 10 Prozent erreicht.
Angesichts der inneren Krise der Piratenpartei hatten die Göttinger Parteienforscher Alexander Hensel und Stephan Klecha bereits vor einigen Monaten einen Vergleich mit der früheren Grünen-Geschichte gezogen. »In den Jahren 1988 bis 1991 stand auch deren politische Zukunft durch eine stete Abfolge von Affären, Skandalen und Streitereien auf dem Spiel. Die damaligen Auseinandersetzungen in Parteizeitschriften und Rundbriefen erinnern in ihrer Grundstruktur deutlich an das, was die Piraten heute bei Twitter, in Mailinglisten oder in Weblogs debattieren«, schreiben die beiden Göttinger Wissenschaftler. »Auch damals gab es massenhaft Austritte. Viele Köpfe, die zuvor über zehn Jahre hinweg die Grünen maßgeblich geprägt hatten, verschwanden.«
Hensel und Kleche sehen indes einen zentralen Unterschied zu der einstigen Ökopartei, die damals bereits ein Maß an Konsolidierung erreicht hatte, das den Piraten bisher fehlt. Es bestehe daher »die potenzielle Gefahr einer weiteren Destabilisierung der Partei« und die Gefahr, dass die Piraten »sich selbst in der Marginalität und einem politischen Sektierertum zu versenken«. mkr/vk
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