Chodorkowski will Putin stürzen
Ehemaliger Öl-Oligarch gründet pro-europäische Oppositionsbewegung »Offenes Russland«
Moskau. Der frühere russische Ölmagnat Michail Chodorkowski fordert Kreml-Chef Wladimir Putin mit einer proeuropäischen Oppositionsbewegung heraus. Bei der Gründungszeremonie der Initiative »Offenes Russland« in Paris rief Chodorkowski seine Landsleute am Samstag auf, sich vor den 2016 anstehenden Parlamentswahlen für politische Reformen und Rechtsstaatlichkeit einzusetzen. In Interviews warf er dem Westen zudem schwere Fehler in seiner Russlandpolitik vor und deutete Ambitionen auf das Präsidentenamt an.
»Offenes Russland« soll über eine Online-Plattform ein Forum für Gleichgesinnte bieten, ist laut Chodorkowski aber keine politische Partei. In russischen Staatsmedien spielte die im Internet übertragene Gründungsveranstaltung der neuen Bewegung faktisch keine Rolle, laut einer Sprecherin Chodorkowskis wurde die Website www.openrussia.org zudem von Hackern lahmgelegt.
»Wahre Patrioten sollten ihrem Land und Volk auch in düsteren Zeiten dienen«, sagte der 51-jährige Chodorkowski, der im Dezember nach zehn Jahren Lagerhaft von Putin begnadigt worden war und mittlerweile in der Schweiz lebt. »Eine Minderheit kann einflussreich sein, wenn sie sich organisiert.« Dass Russland nicht zu Europa gehöre, sei »eine Lüge derjenigen, die das Land ein Leben lang beherrschen wollen, die auf Gesetz und Justiz spucken«. In Wirklichkeit sei Russland »sowohl geografisch als auch kulturell« ein Teil Europas, betonte Chodorkowski.
Der französischen Zeitung »Le Monde« sagte er: »Wenn sich das Land normal entwickeln würde, wäre ich nicht daran interessiert, Präsident zu werden.« Sollte Russland aber jemanden brauchen, »um das Land aus der Krise zu führen und die Verfassung zu reformieren, also vor allem die Macht des Präsidenten auf die Justiz, das Parlament und die Zivilgesellschaft zu verteilen, dann stünde ich für diesen Teil der Aufgabe bereit«.
Im Gegenzug für seine Freilassung hatte Chodorkowski faktisch versprechen müssen, sich aus der russischen Politik herauszuhalten. Eine offizielle Reaktion des Kreml-Chefs auf die Gründung von »Offenes Russland« gab es zunächst nicht. »Ich denke, er wird verärgert sein«, sagte Chodorkowski in Paris, zumal der Ex-Oligarch auch den Sturz der prorussischen Regierung in der Ukraine offen begrüßte.
»Putin ist mein politischer Gegner, aber ich hasse ihn nicht«, sagte Chodorkowski dem »Spiegel« in einem weiteren Interview, das auszugsweise am Sonntag veröffentlicht wurde. Darin warf er den westlichen Staaten vor, dem Kreml-Chef zu lange freie Hand gewährt zu haben: »Der Westen hat mit seiner sogenannten Realpolitik bei Putin die Überzeugung genährt, dass er und seine Umgebung alles dürfen. Die Botschaft war: Lasst uns gute Geschäfte machen, ansonsten ist alles erlaubt.«
Als Chef des inzwischen zerschlagenen Ölkonzerns Yukos war Chodorkowski 2003 festgenommen und später wegen Betrugs und Steuerhinterziehung zu jahrelanger Lagerhaft verurteilt worden. Die Prozesse gegen den Putin-Rivalen wurden vom Westen als politisch motiviert kritisiert. Nach seiner Begnadigung reiste er zunächst nach Berlin aus, bevor er in der Schweiz eine Aufenthaltserlaubnis erhielt und schließlich seinen Lebensmittelpunkt dorthin verlegte. afp/nd
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