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Mehr Geld durch Kaiserschnitte?
Anja Mayer über Entbindungen in Deutschland und Schweden, eine falsch verstandene »Natürlichkeit« der Geburt und Entscheidungen, die nur Frauen etwas angehen sollten
In Deutschland kommen immer mehr Kinder per Kaiserschnitt auf die Welt - nach Angaben der Bundesregierung inzwischen fast jedes dritte Baby. Die Bundesrepublik gehört damit im internationalen Vergleich zu den Spitzenreitern. »Die Vergleiche mit Schweden und Finnland zeigen eine deutlich höhere Geburtenrate, geringere Säuglingssterblichkeit und eine fast gleiche oder höhere Lebenserwartung als in Deutschland«, sagte kürzlich die Gesundheitsexpertin der Linksfraktion im Bundestag, Birgit Wöllert. Trotzdem sei die Kaiserschnittrate in beiden skandinavischen Ländern um rund die Hälfte niedriger. »Das kann nicht nur medizinische Gründe haben«, vermutet die Linkspolitikerin und verweist auf den Kostendruck in deutschen Krankenhäusern.
Ist die Zunahme von Kaiserschnitten in der Bundesrepublik also mit der Wirtschaftlichkeit der Kliniken zu erklären, wie Wöllert meint? Das muss nicht so sein. Vielmehr können andere Gründe den Ausschlag geben, dass sich in Nordeuropa weniger Frauen für einen Kaiserschnitt entscheiden als bei uns.
So erfolgt die Betreuung während der Schwangerschaft beispielsweise in Schweden ausschließlich durch Hebammen. Es gibt dort nur eine Ultraschalluntersuchung, die von der Krankenkasse bezahlt wird. Alle weiteren erfolgen auf Rechnung der Patientinnen. Eine Entbindung wird in Schweden nicht als eine Krankheit interpretiert, daher ist der Aufenthalt in einem Hospital nach einem Kaiserschnitt verhältnismäßig kurz und dort mit weniger Betreuung als in Deutschland verbunden. Eine Begleitperson für die werdende Mutter ist erforderlich, um ihr beispielsweise das Essen auf das Zimmer zu bringen. Dafür erhält der Partner oder die Partnerin zehn Tage Sonderurlaub vom Arbeitgeber.
Die Ausgangsbedingungen für Entbindungen in Deutschland und Schweden sind also sehr verschieden und nicht miteinander zu vergleichen. Wöllert tut es trotzdem.
Sowohl die Anzahl der primären (geplanten) als auch der sekundären (ungeplanten) Kaiserschnitte sind in der Bundesrepublik gestiegen - wie in vielen anderen westlichen Ländern übrigens auch. Insbesondere sekundäre Kaiserschnitte erfolgen bei entsprechenden Indikationen während der Geburt aufgrund eingetretener Komplikationen - vor allem dann, wenn die Gesundheit des Kindes in Gefahr ist. Das macht die Interpretation schwierig, inwieweit die Eingriffe als »nötig« oder »komplikationsreich« angesehen werden können. Darüber hinaus hat sich im Laufe der vergangenen Jahre durch den medizinischen Fortschritt die Risikobewertung verändert, zu welchem Zeitpunkt während der Geburt eine solche Operation empfohlen wird. Hier sollte in Betracht gezogen werden, ob der eine oder andere Kaiserschnitt nicht doch vorteilhafter ist als eine falsch verstandene »Natürlichkeit« der Geburt.
Doch trifft die Auffassung zu, dass die Klinik durch den Eingriff mehr von den Leistungen der Krankenkasse als Gewinn verbuchen kann als bei einer »herkömmlichen« Geburt? Für einen geplanten Kaiserschnitt erhält ein Krankenhaus 2600 Euro, für eine durch eine Hebamme betreute Geburt 1700 Euro. Da die Anzahl der geplanten Kaiserschnitte nicht signifikant höher ist als die der ungeplanten Operationen, fallen im ersten Fall die Kosten für einen kompletten Operationssaal mit Personalausstattung an. Für einen ungeplanten Kaiserschnitt muss mit einem Personal- und Mittelaufwand im Kreißsaal und im Operationssaal gerechnet werden. Von den 2600 Euro bleibt für die Klinik unterm Stich also nicht unbedingt mehr übrig als für eine »natürliche« Geburt.
Selbstverständlich lehnen wir Linke Profitmacherei im Gesundheitswesen ab. Deshalb argumentieren wir bei jeder sich bietenden Gelegenheit gegen die Privatisierung von Krankenhäusern. Doch sollte für uns weder von Belang sein, wie viel eine Entbindung kostet, noch was die Mehrheit in der Gesellschaft als eine »natürliche« Geburt ansieht. Das Wohl der Frauen und das des Kindes ist entscheidend. Und deshalb kann der Entschluss für und wider eines Kaiserschnittes nur von der Mutter selbst getroffen werden. Von niemandem sonst.
Ob Wunschkaiserschnitt, Alleingeburt in freier Natur ohne Hebamme oder »herkömmliche« Geburt - all das kann für eine Mutter die richtige Entscheidung sein.
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