Havarie der Symbolik
Im Kino: »Phoenix« von Christian Petzold
Dies ist ein Film über die Blindheit und das Sehendwerden, über Verrat und Verdrängung der Schuld. Es geht in »Phoenix« um das, was dem Überleben eines Unortes wie Auschwitz folgt, um das verlorene Leben, das man suchen muss, um neu beginnen zu können. Ein großer Stoff, eine Tragödie von antiker Dimension, aber auch ein großer Film?
Christian Petzold ist der surreale Kammerspieler unter den deutschen Regisseuren, der verrätselte Handlungskonstellationen immer wieder zu etwas Unerwartetem führt, das dem Zuschauer plötzlich wie eine jede äußere Begründung zurücklassende Erleuchtung vor Augen tritt. Seine Filme, wenn sie gelingen, sind kollektive Selbsterkenntnisrituale. »Gespenster«, »Yella«, »Wolfsburg«, »Jerichow« und zuletzt »Barbara« zeugen von dieser Meisterschaft Petzolds, immer wieder auch mit seiner Hauptdarstellerin Nina Hoss, die nie nur eine Rolle spielt, sondern diese in einen Zustand lange zurückgestauter Innigkeit transformiert. Bislang funktionierte das meist auf hervorragende Weise. Fragte man Petzold, worum es in seinem jeweils nächsten Film gehen soll, erzählte er einem jedes Mal eine ziemlich unwahrscheinliche und verwickelte Geschichte, die man nie verstand und die man dann zum Glück auch so nie auf der Leinwand sah. Aber dieses Mal ist alles anders. Vielleicht musste es einmal so kommen bei einem Regisseur, der kein Risiko scheut. Der Film ist - um es gleich zu sagen - in meinen Augen vollkommen missglückt, er wirkt fast schon wie eine unfreiwillige Parodie auf den Kunstwillen in Petzolds früheren Filmen. Das ist fatal, aber vielleicht auch ein heilsamer Fingerzeig: In diese Richtung kann er nicht immer weitergehen, sonst bleibt am Ende nur die reine Attitüde, die Behauptung von Kunst, die sich doch nur auf eine Aneinanderreihung von Ornamenten stützt.
Betreiben wir also ein wenig Ursachenforschung, warum etwas so misslingt wie »Phoenix«, wenn diejenigen, die daran arbeiteten, doch zweifellos Könner sind. Diesmal sieht man tatsächlich nur die Geschichte, die man auch im Presseheft nachlesen kann. Wieder ist sie verstiegen und wenig plausibel - aber nun, zum ersten Mal beim Duo Petzold/Hoss, sieht man genau diese konstruierte Fabel abgefilmt, mehr nicht. Und so reiht sich hier ein Klischee ans andere. Petzold selbst spricht davon, hier »Film Noir« mit Technicolor verbinden zu wollen. Etwas mehr Neorealismus wäre besser gewesen.
Die Idee in Prosa: Nelly kommt 1945 nach der Befreiung aus dem KZ Auschwitz. Weil man ihr ins Gesicht geschossen hat, ist ihr Kopf vollständig bandagiert, ihre Freundin Lene (Nina Kunzendorf), Mitarbeiterin der Jewish Agency, aus der Schweiz kommend auf dem Weg nach Palästina, bringt sie zurück nach Berlin. Dort wird ihr Gesicht von einem plastischen Chirurgen operiert. Was für ein Gesicht sie denn wolle, fragt er geradezu launig. Nur ihr eigenes zurück, haucht es unter der Mullbinde. Jedenfalls sieht sie dann für den Rest des Films so aus wie Nina Hoss immer, nur etwas grauer und augenumränderter.
Das dauert die ersten zwanzig Minuten und ist ziemlich umsonst. Wichtiger ist, dass sie ihren Mann Johnny in der zerstörten Stadt sucht, der sie jahrelang versteckt hatte und von dem Lene nun behauptet, dass er sie an die Gestapo verraten hat. Nelly kann das nicht glauben - will unbedingt ihr altes Leben mit Johnny (völlig fehlbesetzt, weil durchdringend harmlos: Ronald Zehrfeld), diesem offenkundig einmal auf sie anziehend wirkenden Musiker zurück.
Sie tritt ihm dann überraschend entgegen, doch er reagiert gar nicht, erkennt sie nicht wieder, weil er felsenfest davon überzeugt ist, sie sei tot. Aber ein gewisse Ähnlichkeit zu Nelly sei doch da, stellt dieser schlaffe, ausdruckslose Mensch fest und fasst einen teuflischen Plan: Diese Frau, die seiner Frau irgendwie ähnlich scheint, könnte doch vor der Verwandtschaft und den Behörden Nelly spielen, damit er endlich an die Erbschaft der ermordeten Familie herankäme!
Nelly lässt sich darauf ein, sich selbst zu spielen - und Johnny erkennt sie immer noch nicht, er ist mit Blindheit geschlagen. Das kann man jetzt ausführlich philosophisch verhandeln. Erkennt er sie nicht, weil er sie verraten hat? Hindert ihn seine instinktive Verdrängung der eigenen Schuld daran? Ist ein ganzes Volk im Augenblick des Zusammenbruchs, dem ein Neuanfang - der Blick nach vorn - folgen muss, zwangsläufig blind? Kann sich, wem etwas unaussprechbar Furchtbares passierte, überhaupt verständlich machen, oder geht der Alltag immer so unaufhaltsam banal weiter wie bisher?
Der entscheidende Punkt ist: Man glaubt diesem Nicht-Erkennen von Johnny keinen Moment und damit stirbt der Film, der auf diese Amnesie gebaut ist. Nina Hoss versucht die Auschwitz-Überlebende, als die sie vor ihrem Mann steht, für den sie jedoch gar nicht mehr vorhanden ist, so gut es geht, zu spielen. Aber die Symbolik lastet diesmal wie Blei auch auf ihr.
Das Spiel mit dem harten geschichtlichen Stoff will in »Phoenix« nicht zum wenig dringlichen Kammerspiel von Nelly und Johnny passen. Petzold, der sonst immer zu überraschen vermag und seine Filme mit leichter Drehung aus aller Erwartbarkeit herausheben kann, steckt diesmal im Vorsätzlichen fest.
Eine berührende Szene am Ende des Films aber soll dann doch nicht verschwiegen werden. Nelly singt, von Johnny am Klavier begleitet, der zu ihrem Empfang versammelten Familie ein Lied vor, das die Lüge ihrer falschen Identität auf die Spitze treiben soll, so Johnnys perfider Plan. Aber während Nelly singt (und Nina Hoss legt in dieses Lied allen Abschied von der Hoffnung, erkannt zu werden von dem, den sie liebte), sieht man in Johnnys Augen das plötzliche Erkennen. Zu spät!
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