Lieber selbst gemacht

Das Schanzenfest in Hamburg soll wieder politischer werden

  • Gaston Kirsche, Hamburg
  • Lesedauer: 5 Min.
Um dem nicht angemeldeten Fest den politischen Charakter zurückzugeben wird es verlagert - weg von den Brennpunkten des Gastrokommerzes.

In den letzten Jahrzehnten wirkte es wie ein Straßenfest des besetzten sozialen Zentrums Rote Flora - mit reger Beteiligung aus dem Stadtteil, in dem die LINKE in einigen Wahllokalen bei Abstimmungen die meist gewählte Partei ist, in anderen sind es die Grünen. Anwohnende aus der autonomen Szene beteiligten sich ebenso wie andere gerne am Ablauf des Festes. Die Hauptbühne des traditionell nicht angemeldeten, aber meist von der Stadt geduldeten Schanzenfests, wo sich ebenso traditionell Redebeiträge und Bandauftritte in dissidentem Auftreten einen kreativen Wettstreit liefern, stand meist auf dem Schulterblatt. Auf der früheren zentralen Einkaufsstraße des ehemaligen Arbeiterviertels ist etwas Platz, und aus der anliegenden Roten Flora kam der Strom.

Im Herbst 1989 fand das Fest das erste Mal statt. Der Stadtteil war damals wie heute ein umkämpfter Raum. Viele linke Studierende wohnten hier, Arbeiterfamilien mit oder ohne deutschen Pass. Plakate zahlreicher radikaler linker Gruppierungen klebten auf allen möglichen Flächen, Eckkneipen reihten sich an Teestuben türkischer Arbeitervereine und Geschäfte des täglichen Bedarfs.

Auf dem Fest zeigte sich über die Jahre mehr und mehr die Verdrängung des Arbeitermilieus durch kaufkräftigere KreativbürgerInnen - die Gentrifizierung des durch die studentische Klientel mit einer vielfältigeren Infrastruktur an Kneipen bereits konsumorientierteren Viertels: Wo Boutiquen zusehends den kleinen Einzelhandel aus den Ladengeschäften rausgekauft haben, wo sich eine angesagte Ausgehlocation an die Nächste reiht, da verdrängten Bier- und Cocktailstände zusehends die Flohmarktdecken der ärmeren AnwohnerInnen. »Die Gentrifizierung des Schanzenviertels mit dem Austausch der AnwohnerInnenschaft und der Läden ist am Fest nicht spurlos vorbeigegangen und wird seit Jahren als zunehmende Kommerzialisierung und Entpolitisierung kritisiert«, sagt Florentina Strada von der Vorbereitungsgruppe des Schanzenfests gegenüber »nd«.

Strada betont aber auch: »Allerdings war man hier mit dem Schanzenfest 2012 durchaus auch wieder einen Schritt in die richtige Richtung gegangen.« Im August 2012 war das Fest der Solidarität mit dem Widerstand in Griechenland gegen den Sozialabbau und die Sparprogramme der Troika aus EU, IWF und Deutschland gewidmet. Es gab zahlreiche Stände und Beiträge zum Widerstand in Griechenland. Das Fest wurde allerdings wie in den Jahren zuvor je später der Abend wurde, mehr und mehr von dem erlebnisorientierten Publikum der Bars und Lounges eingenommen. Immer wieder wurden Schaufenster eingeworfen, Feuer entzündet, kleine Barrikaden aus Müll aufgeschichtet, ohne dass ein Anlass oder einer Forderung erkennbar gewesen wären.

Ebenfalls 2012 machten sich offensichtlich »autonome NationalistInnen«, militante Neonazis in Autonomen-Outfit, diese Unübersichtlichkeit zu nutze: Ein Baum direkt vor der Roten Flora wurde angezündet, als das Feuer von Aktiven aus der Roten Flora mit Feuerlöschern erstickt wurde, wurden zwei Aktivisten der Roten Flora mit Messerstichen verletzt, einer der beiden schwer von hinten im Rücken. Als die Neonazis gestoppt wurden, riefen sie »Ihr Scheiß-Kanaken« und schlugen mit einer Eisenstange zu. Es war ein Schock, Angriffe hatte es bis dahin nur von uniformierter Polizei gegeben. Es folgte eine längere Debatte, das Schanzenfest fiel 2013 erstmals aus. Jetzt wird es besser vorbereitet wieder stattfinden - in klarer Abgrenzung von nächtlichen Besäufnissen, vor allem räumlich.

Denn direkt gegenüber der Roten Flora wurde zur Aufhübschung des Stadtteils von städtischer Seite eine »Piazza« angelegt. Eine für Stadtplanung typische, irreführende Bezeichnung: Dort findet sich keineswegs ein zur konsumfreien Begegnung einladender öffentlicher Platz zum Flanieren und Treffen, wie der italienische Name nahelegt, sondern das zentrale Areal des Stadtteils, unter genervten Anwohnenden auch »Ballermannzone« genannt. Es ist weitgehend aufgeteilt unter diversen Bars und Gaststätten.

Vor der bunt-chaotischen Kulisse der Roten Flora, die mit der Straße dazwischen aus der Distanz gerne als Eventkulisse wahrgenommen wird, trifft sich am Schulterblatt die »offene Koffein- und Alkoholszene«, wie das zahlreiche Publikum unter linken AktivistInnen gelegentlich genannt wird - im Bewusstsein darüber, dass die vor Jahren hier ansässige »offene Drogenszene« vertrieben wurde: Heroinabhängige und als »Dealer« stigmatisierte Flüchtlinge aus Afrika. Polizisten kontrollierten alle Schwarzen, die im Schanzenviertel auf der Straße unterwegs waren. »In der Hauptkonsum- und Castingmeile Schulterblatt und Susannenstraße gibt es dieses Jahr kein Schanzenfest, sondern es verlagert sich«, so Florentina Strada: »Hierdurch soll vor allem die Dominanz der Getränkestände der Kneipen und Bars zurückgedrängt werden zugunsten von unkommerziellen Ständen von AnwohnerInnen, politischen und Flüchtlingsgruppen.«

Das Straßenfest verlagert sich so von der Roten Flora weg hin zum Refugee Welcome Center, einer seit dem 1. Mai besetzten ehemaligen Schule. »Das Fest findet in diesem Jahr sonntags statt, um das Grundgefühl von der ganz großen Party bis zum Abwinken weg auf politische Inhalte zu lenken«, erklärt Florentina Strada. Nach den Aktionen der über die Mittelmeerinsel Lampedusa unter Lebensgefahr nach Hamburg gekommenen Flüchtlinge der Lampedusa-Gruppe und ihrer UnterstützerInnen für ein Bleiberecht als Gruppe im Herbst 2013 wurde klar, dass der Senat trotz allem von seiner harten Haltung nicht abrückt.

»In dieser Lage schien es eine gute Idee, das Schanzenfest, das in den lokalen Medien starke Aufmerksamkeit genießt, für den Kampf von Flüchtlingen in Hamburg und anderswo in die Waagschale zu schmeißen«, so Strada - um Öffentlichkeit zu schaffen. Dem Fest wird so ein Rahmen gegeben - gefüllt wird der durch selbstorganisierte Aktivitäten. In dem losen Zusammenhang, der alles vorbereitet, »sind traditionell auch VertreterInnen des Flora-Plenums und der Kampagne ›Flora bleibt unverträglich!‹ dabei«, so Strada: »Nicht mehr, aber auch nicht weniger.«

Auch in diesem Jahr gibt es eine Bühne mit Musikprogramm und Redebeiträgen, einen AnwohnerInnen-Flohmarkt, Essens-, Getränke- und Politstände. Der Bereich um das Centro Sociale in der Sternstraße wird für Flüchtlings- und politische Gruppen freigehalten, hier wird auch eine eigene kleine Bühne sowie ein Filmprogramm geplant.

2012 gab es erstmalig einen Schanzenfestsalon, in dem inhaltliche Diskussionen in einer Art Talkshow stattfanden. Dieses Jahr geht es dort um die Situation von Flüchtlingen in Europa. Zum Festprogramm wird aber noch einiges dazukommen: »Gehört haben wir von: Soundsystemen, einer Theatervorführung, Soli-Bingo, Massenkaraoke, Kinderfest und einem Fußballspiel des FC Lampedusa«, so Florentina Strada: »Wir hoffen aber auch noch auf einige Überraschungen.« Das Schanzenfest bietet vielfältige Gelegenheiten, um mit den Lampedusa-Flüchtlingen, antirassistischen Gruppen oder der radikalen linken Szene Hamburgs ins Gespräch zu kommen.

Refugee Welcome Schanzenfest, So. 28. 9., 10 - 22 Uhr, Bartels-, Schanzen-, Ludwig- und Sternstraße, Hamburg.

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