Im Fokus der Trüffelschweine

Markus Euskirchen über die Vereinnahmung der Sharing Economy durch profitorientierte Unternehmen

  • Markus Euskirchen
  • Lesedauer: 4 Min.

Ich fahre durch Berlin. Vor mir springt die Ampel um. Schön: grüne Welle, denke ich. Aber hoppla, da kommt ein Mini mit Münchener Kennzeichen von Rechts, der Fahrer drückt ordentlich aufs Gaspedal, damit er bei kirschgrün noch um die Ecke kommt. Das war’s dann mit meiner grünen Welle.

Bei Münchener Minis in der Bundeshauptstadt handelt es sich oft um Fahrzeuge der Carsharing-Firma DriveNow. Sie wirbt damit, ihren Kunden nur einen einzigen Tarif zu berechnen: nämlich 31 Cent pro Minute. Bei dem Unternehmen teilen sich mehrere Fahrer jeweils ein Auto. Jahrzehntelang musste der Bundesbürger den Wahnsinn der Blechlawinen auf den Straßen ertragen. Das Carsharing schafft jetzt Abhilfe, möchte man meinen.

Seit einiger Zeit nehme ich eine zunehmende Aggressivität im Alltagsverkehr der Großstädte wahr. Und meist geht sie von den auffälligen Wagen der Carsharing-Konzerne aus. Das minutenweise Abrechnungsverfahren verursacht bei preisgesteuerten Autofahrern einen enormen Druck. Der Fahrer vergisst alles um sich herum, um doch noch eine grüne Ampelphase zu erwischen. So können anderthalb Minuten gespart werden. Das läppert sich bei einer Fahrt durch die Stadt.

Mit der Sharing Economy, der Ökonomie des Teilens, den Kapitalismus überwinden? Nein, so bestimmt nicht. Denn hinter den großen Carsharing-Unternehmen stecken die alten Automobildinosaurier: BMW hinter DriveNow und Daimler hinter Car2go. Sie haben die Sharingidee für ihre Zwecke entdeckt, geschickt vereinnahmt und sichern durch den minutenbasierten Tausch (Geld gegen Mobilität) die Profitinteressen ihrer Shareholder. Und das in Zeiten, in denen die Leute nicht mehr verstehen, warum sie ihr Geld in rapide Wert verlierende Zweit- und Drittwagen anlegen sollten.

»Teilen, um zu tauschen«, ist nicht das Gleiche wie »Teilen statt Tauschen«. Teilen und Tauschen sind zwei unterschiedliche Verkehrsformen. Solidarisches Teilen jenseits des Marktes ist im Vergleich zum kapitalistischen Äquivalententausch etwas ganz anderes: Ware gegen Geld, Mobilität gegen Euro. Durch die Formulierung »statt« weist das Teilen über das Tauschen hinaus. »Um zu« reduziert das Teilen jedoch auf ein Mittel des Tauschs: So bald und so lange es sich für Investoren als Kapitalanlage lohnt, organisieren sie das Teilen. Weil es ihnen aber nur Mittel zum Zweck sein kann, weist dieses Verhältnis zwischen Teilen und Tauschen nicht über den kapitalistischen Warenhandel hinaus.

Im Gegenteil, das instrumentelle Verhältnis verweist auf die Lebensquelle kapitalistischer Innovation: Das Kapital muss, um den Preis seines Untergangs, immer wieder neue Bereiche erschließen. Es ist praktisch gezwungen, neue Felder zu kolonisieren, um mit den so angeeigneten Ressourcen dem selbsterzeugten Konkurrenz- und Wachstumszwang nachzukommen. Das gilt für Rohstoffe und Arbeitskraft genauso wie für Organisationsansätze.

Wir können derzeit beobachten, wie die marktorientierte und tauschbasierte Sharing Economy das solidarische Teilen kolonisiert. Vor allem durch die Wirtschaftskrise waren sharingbasierte Organisationsformen derer, die sich den Kapitalismus nicht mehr leisten wollten oder konnten, in den Fokus der Trüffelschweine des Kapitalismus geraten. Die zunehmende Raserei durch kapitalistisches Carsharing in deutschen Großstädten ist nur ein Beispiel dafür, wie einer alternativen Praxis durch ihre verwertungsorientierte Vereinnahmung das Rückgrat gebrochen wurde. Fortan hilft sie dabei, den Irrsinn neoliberaler Marktwirtschaft zu reformieren, das Elend unvernünftiger Gesellschaftsorganisation weiter in die Länge zu ziehen. Teilen ja, aber so nicht.

In der Softwarebranche macht eine Lizenz mit dem englischen Namen General Public License (GPL) vor, wie es stattdessen gehen könnte: Sie gewährt den Nutzern, den Programmcode zu untersuchen, ihn den eigenen Bedürfnissen anzupassen und mit anderen zu teilen. Gleichzeitig verbietet sie die Privatisierung des Codes. Ein solches Computerprogramm ist nichts anderes als eine Fabrik: Eingaben (vergleichbar mit Rohstoffen, Zuliefererteilen) werden mittels Rechenoperationen (Maschinen), die der Code beschreibt, in eine Ausgabe (Produkt) verwandelt.

Funktionierte die Autoindustrie nach den Prinzipien der GPL, sähe Mobilität zumindest in den Metropolen ganz anders aus. Sie wäre dann mit weniger Gefahren und Angst verbunden, als es heutzutage der Fall ist.

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