Berliner Piraten stehen vor der Existenzfrage

Auf ihrem Parteitag im November soll über Auflösung entschieden werden / Prominente Mitglieder haben die Entscheidung für sich bereits getroffen

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.
Die nächsten Wochen sind für das Überleben der Piraten zukunftsweisend. Auf dem Parteitag des Berliner Landesverbandes im November könnte die Entscheidung über Auflösung oder Neustart fallen.

Für die Piratenpartei könnte der 15. November das endgültig letzte Kapitel ihrer Parteigeschichte einläuten. An diesem Tag trifft sich der Berliner Landesverband zu seinem Parteitag. Für die Piraten geht es an diesem Wochenende nicht weniger als um die Frage, ob sich die Mitglieder mehrheitlich dazu durchringen können, nach vielen Monaten öffentlich ausgetragener Streitereien, Wahlniederlagen und dem Abgang mehrerer Prominenter innerhalb kurzer Zeit doch noch einen Kurswechsel einzuschlagen, oder ob die Berliner das 2006 mit viel Eifer und Ambitionen begonnene politische Projekt beerdigen. Ende September kündigte Pavel Mayer, für die Piraten Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, auf einer Fraktionssitzung an, auf dem Parteitag einen Antrag auf Auflösung des Landesverbandes zu stellen. Es ist kaum überraschend, dass sich ausgerechnet die Berliner als erster Landesverband mit dieser Grundsatzentscheidung konfrontiert sehen. Um überhaupt eine Restchance auf ein politisches Überleben zu bekommen, müssen die Piraten in dieser Frage schnellstens Klarheit schaffen. Für die Bundespartei besitzt der Parteitag auf jeden Fall Signalwirkung: Die Berliner stellen nicht nur einen der mitgliederstärksten Landesverbände, sondern prägen die Außenwirkung über die Hauptstadt hinaus entscheidend mit.

Ohnehin wird die Debatte über eine Exit-Strategie bereits seit Monaten von den Mitgliedern geführt. Im Juli erst musste sich der Landesvorstand auf Antrag der Mitglieder mit der Frage auseinandersetzen, inwieweit sich die Berliner möglicherweise als eigenständige Vereinigung von der Bundespartei abspalten könnten. Wie sich jedoch schnell herausstellte, lässt die Bundessatzung derartige Planspiele nicht zu. Unterstützer einer solchen Abspaltung, wie Ex-Landeschef Christopher Lauer und der Abgeordnete Oliver Höfinghoff, haben mit ihrem Austritt inzwischen zumindest für sich die Antwort gefunden, wie sie die Zukunftschancen der Piratenpartei bewerten.

Dem Landesverband steht diese Entscheidung indes jetzt bevor. Ein Hinauszögern können sich die Berliner politisch ohnehin nicht viel länger leisten. In Umfragen steht die Berliner Partei zwischen drei bis vier Prozent und würde somit bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus in zwei Jahren nicht wieder ins Parlament einziehen. Um die Wähler doch von sich zu überzeugen, muss deshalb zuallererst Klarheit über den eigenen Fortbestand geschaffen werden.

Nicht ohne Grund wählte Ex-Parteichef Lauer den 18. September als Datum für seinen Parteiaustritt. Noch am Morgen hatte er auf Twitter daran erinnert, dass die Partei genau drei Jahre zuvor für viele Beobachter überraschend mit 8,9 Prozent ins Abgeordnetenhaus eingezogen war. Damit hatte sie jene euphorische Welle ausgelöst, die den damaligen Bundesvorsitzenden Sebastian Nerz zu der auch aus damaliger Sicht hoch gegriffenen, aber dennoch nicht völlig abwegig erscheinenden Prognose hinrissen, die noch junge Partei könnte bei der Bundestagswahl 2013 nicht nur den Sprung ins Parlament schaffen, sondern gleich noch in einer möglichen Regierung mit am Tisch sitzen. Aus den Plänen wurde bekanntlich nichts. Nerz verließ die Partei im Frühjahr 2014, weil das frühere CDU-Mitglied den Piraten eine »unkonstruktive Radikalisierung« attestierte. Übersetzt: Ihm war die Partei zu weit nach links gerückt. Den genau entgegengesetzten Eindruck vertreten indes Ex-Mitglieder wie Höfinghoff, was mitunter das Grundproblem der gesamten Partei auf den Punkt bringt. Wo sich die Piraten innerhalb der politischen Landschaft verorten, konnten die Mitglieder bis heute nicht klären. Und es macht die Sache nicht besser, dass die Partei zumindest in ihren ersten Jahren tatsächlich für sich den Anspruch erhoben hatte, sich nicht einordnen lassen zu wollen.

In der Praxis erwies sich dieses Selbstverständnis als Illusion, denn je nach konkretem Fall ordneten sich die in öffentliche Ämter gewählten Mitglieder vor Ort mal aus pragmatischen, mal aus politischer Überzeugung den Fraktionen der etablierten Parteien zu. So entschied sich die einzige 2014 ins Europaparlament gewählte deutsche Piratin Julia Reda, der Grünen-Fraktion im Brüsseler Parlament beizutreten, wo sie die Mitglieder direkt zur stellvertretenden Vorsitzenden wählten.

Auf kommunaler Ebene, wo die Piraten bundesweit hunderte Stadt- und Kreisräte stellen, sind solche Formen der Zusammenarbeit ohnehin üblich. Über Zuwachs durfte sich zuletzt die Dresdner Linkspartei freuen. Die beiden fraktionslosen Piraten Martin Schulte-Wissermann und Norbert Engemaier schlossen sich der LINKEN-Stadtratsfraktion an und bekundeten eine »ausgesprochene programmatische und inhaltliche Nähe«.

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