Prag löste einen Stein der Mauer
Die berühmte Balkonszene von Hans-Dietrich Genscher jährt sich am heutigen Dienstag zum 25. Mal
Es dürfte wohl einer der großen historischen Momente im Leben des bundesdeutschen Außenministers Hans-Dietrich Genscher gewesen sein: Am 30. September 1989 verkündet er den etwa 4000 auf dem Botschaftsgelände in Prag campierenden DDR-Bürgern, dass ihre Ausreise nach Westdeutschland nun möglich sei.
Das war nicht nur das Ende eines zermürbenden Nervenkrieges, der sich seit Anfang Juni jenes Jahres hingezogen hatte. Die Szene auf dem Balkon leitete auch das Ende des Realsozialismus in Osteuropa bis hin zum Zerfall der Sowjetunion ein.
Am heutigen Dienstag kehrt Genscher zurück an den historischen Ort, um mit Zeitzeugen und ehemaligen Botschaftsbesetzern des historischen Datums zu gedenken. Noch heute ist der FDP-Politiker bewegt und erinnert sich der Mühe, die es ihn gekostet habe, nüchtern und ruhig die Botschaft zu verkünden, ohne die DDR-Oberen zu erbosen. Dies wird sicher auch der Fall sein, wenn Genscher sich ab 11 Uhr mit Besetzern und Politikern auf dem Botschaftsgelände trifft. Die deutsche Botschaft begeht mit einer Reihe von Veranstaltungen und Ausstellungen den Jahrestag.
Für die Prager sind die Feierlichkeiten ein eher marginales Ereignis. Ihr großer Tag kommt im November, wenn sie der Ereignisse der Samtenen Revolution vor einem Vierteljahrhundert gedenken. Dennoch erinnern sich einige Zeitzeugen der dramatischen Tage im Herbst 89. So der Fotograf Antonin Novy, der im August und September Aufnahmen von den Fluchten über den Botschaftszaun schoss. »Ich komme oft hierher, die Prager Kleinseite gehört zu meinen liebsten Plätzen in der Hauptstadt«, erklärt Novy in einem Gespräch mit Radio Prag. Immer, wenn er das Lobkovitz-Palais passiere, erinnere er sich an die damalige Zeit. Tausende DDR-Bürger seien im September 1989 in Prag gewesen, etwa 4000 sei der Zutritt auf das Botschaftsgelände gelungen. Er habe gestaunt, dass die Polizei sich so sanft, beinahe teilnahmslos, gegenüber den Flüchtlingen verhalten habe.
Dies wird wohl an einer Verordnung von höchster Stelle gelegen haben. Als die Regierenden in Ost-Berlin die Genossen in Prag um Hilfe und um ein Abdrängen der Flüchtlinge vom Botschaftsgelände ersuchten, reagierten die zurückhaltend. Es sei ein Problem zwischen der Bundesrepublik und der DDR, hieß es. So müsse auch eine Lösung zwischen Berlin und Bonn gefunden werden. Die entstand aus Verhandlungen zwischen beiden Außenministerien.
Prag war schließlich heilfroh, als sich die Lage mit der Abreise der Flüchtlinge zu entspannen begann. Schließlich war die politische Führung um Gustáv Husák und Miloš Jakeš mit der eigenen Opposition beschäftigt. Seit August 1988, dem 20. Jahrestag der Besetzung der ČSSR durch Truppen des Warschauer Vertrages, hatte es Demonstrationen gegeben. Die kulminierten am 19. Januar 1989, dem Todestag von Jan Palach, jenes Studenten, der sich aus Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings selbst verbrannt hatte. Die Unruhen verstärkten sich, als Ungarn begann, sich nach Westen zu öffnen. Die Besetzung der Prager Botschaft kamen Partei und Regierung nicht gelegen. Eine Verschärfung der Situation konnte nur die eigene Lage verschlimmern.
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