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Bücher mit guten Zwecken
Bernd Zeller über den Fehler, den Buchdruck zu erfinden, und über schreibende Politiker
Unser heutiger Bericht beschäftigt sich mit den Aussichten auf die nächste Woche ausgetragene Frankfurter Buchmesse, die als Gipfel des diesjährigen Berichtemarathons über die Frankfurter Buchmesse angesehen wird. Man könnte meinen, eine Buchmesse sei nur so bedeutsam wie die Bücher oder auch nur wie die Bedeutung, die Büchern überhaupt von der Gesellschaft gegeben wird. Aber in Frankfurt geht es um Grundsätzliches, nämlich das Geschäft.
Das sollte man im Auge haben, wenn man den Niedergang des Buches bejammert sind. Das liegt an uns. Wir könnten ja durch Kauf belohnen, wenn Qualität geboten wird. Stattdessen bestreiten wir unsere Konversation damit zu versichern, dass wir das Buch von Boris Becker nicht lesen wollen, wobei wir festhalten müssen, dass Boris Becker dankenswerterweise in dieser Saison kein neues Buch am Start hat, was auch daran liegt, dass immer mehr Leute bei Nennung seines Namens fragen: »Was, Boris Becker, der Fotograf?«
Wir müssen auch - gemäß unserer westlichen Tradition, unsere westliche Kultur des Infragestellens als etwas anzusehen, das gerade noch wir hier ertragen, anderen aber nicht zuzumuten ist - feststellen, dass die Erfindung des Buchdrucks vielleicht ein Fehler war, denn die meisten Bücher werden nicht verstanden und die restlichen völlig falsch ausgelegt. Und zwar auch solche, die älter sind als das Drucken und per Abschrift kopiert wurden - sie sind durch die Möglichkeit der industriellen Vervielfältigung nicht gerade unmissverständlicher geworden. Hier müssen wir differenzieren, ob es am Buch liegen kann oder am Verfasser oder am Leser oder an den gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen ein Buch gelesen wird. Man ahnt es, hier kann es nur, oder auch, um das Buch der davongejagten Kieler Oberbürgermeisterin Susanne Gaschke gehen, die aus der Redaktion der Wochenzeitung »Die Zeit« in die Politik wechselte, um hinterher ein Buch über ihr Scheitern zu schreiben. Anders als Christian Wulff war sie nicht ganz oben und nicht ganz unten (das kann ja noch werden). Aber sie hat einen wichtigen Beitrag zur Begegnung von Politik und Medien auf Augenhöhe geleistet, indem sie die Kompetenz der »Zeit«-Redaktion direkt in die Zentralen der Staatslenkung einbrachte, obwohl sich die meisten so etwas eher von Helmut Schmidt wünschen. Es ist nämlich bislang so, dass die Politiker ihre Fähigkeit zum Bescheidwissen medial zur Schau stellen, aber im täglichen Tragen der Verantwortung sich gegen andere Bescheidwisser erwehren müssen, die ihnen die Verantwortung gern abnehmen möchten.
Daher herrscht unter Journalisten die Meinung: Wenn Politiker wirklich diesen Durchblick hätten, den sie vorgeben, dann wären sie nicht Politiker geworden, sondern Journalisten. Eine Entsandte der »Zeit«-Redaktion hat es da natürlich besonders schwer, die Realitäten so anzugehen, das sie mit den redaktionellen Auffassungen in Einklang gebracht werden können. Das Buch leistet dies, nur eben erst hinterher. Wäre Christian Wulff schon vor seiner politischen Höchstleistung publizistisch in Erscheinung getreten, und das nicht nur als irgendein Leserbriefschreiber, sondern mit vollem Titel, hätte er weitaus glaubhafter die Werte wie Freundschaft, Ehre und Niedrigzinskredit vertreten können.
Eigentlich schade, dass die Politiker während ihrer Zeit im Amt nie so gut sind wie im Wahlkampf vorher und im Buch danach. Jedenfalls schreiben sie sich nicht nur etwas von der Seele, sondern sie schreiben sich in die Seelen der Elite der Volksmassen.
Über eine wichtige Funktion der Bücher, die vornehmlich unter Trivialliteratur abgehandelt werden, haben Feuilletonisten bislang geschwiegen, nämlich die, mal endlich die Sorgen und Nöte der Welt vergessen zu machen. Dies sollte nicht unterschätzt werden, aber das leistet zur Zeit so gut wie jedes Buch, das man in die Hand nimmt.
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