Hochbetagter und hochbegabter Missionar
Auch mit 90 Jahren fühlt sich Ex-US-Präsident Jimmy Carter für Friedensarbeit nicht zu alt
Als Jimmy Carter vor 33 Jahren das Weiße Haus verließ, galt der 39. US-Präsident nicht nur im Westen als Versager. Der Bauer, U-Boot-Fahrer und Nuklearingenieur, der Poet, Laienprediger und Politiker aus Georgia hatte 1976 für die Demokraten zwar überraschend die Wahl gewonnen, war aber vier Jahre später von Ronald Reagan ebenso klar geschlagen worden. Er ist damit einer von nur drei Präsidenten seit 1945, denen keine Wiederwahl gelang.
In Carters Amtszeit von 1977 bis 1981 fielen Krisen des Kalten Krieges. So der Boykott des Westens gegenüber den Olympischen Spielen in Moskau als Reaktion auf den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan und insbesondere die Besetzung und Geiselnahme in der Teheraner US-Botschaft nach der »Islamischen Revolution« unter Ayatollah Chomeini. Vor allem Letzteres hatte den einstigen Erdnussfarmer Carter das Amt gekostet.
Kaum einer, weder er noch seine Frau Rosalynn, mit der Carter seit 68 Jahren verheiratet ist, hätte damals vorhergesagt, dass der Präsident nach seiner Amtszeit zu einem der friedensbewegtesten und engagiertesten Konfliktlöser aufsteigen würde. Hierin wurde er vom kapitalistischen Freund wie vom sozialistischen Feind gleichermaßen unterschätzt. Nach seiner Präsidentschaft gewann er Anerkennung als Vermittler im Nahen Osten, in Bosnien oder Ruanda. Selbst an Schauplätzen wie dem mit ewiger Nabelschau befassten Nordkorea. 2002 wurde er für diese Verdienste, zu denen die von ihm moderierte Aussöhnung zwischen Israel und Ägypten, aber auch sein Engagement zur Ausrottung des vor allem Arme in Afrika und Asien heimsuchenden Guineawurms gehören, mit dem Friedensnobelpreis geehrt.
Sein Eifer hält bis heute an, nur dass er seit Langem Anliegen verfolgt, an die er im Oval Office nie gedacht hätte. Der Moralist, Menschenrechtler und Autor von 28 Büchern - neben Sachbüchern auch ein historischer Roman und ein Gedichtband - gilt nicht nur vielen Landsleuten heute als bester Ex-Präsident der USA, den es je gab. Tatsächlich hat der humorvolle, tief gläubige und höchst belesene Mann nie den Kontakt zu Menschen auf der Straße und dem Feld verloren.
Politisch artikuliert er sich als Anwalt des amerikanischen Gewissens, das von der Politik häufig missachtet werde: Die Enthüllungen Edward Snowdens bezeichnete Carter als »wahrscheinlich nützlich, weil sie die Öffentlichkeit informieren« und als Beleg, dass »Amerika derzeit keine funktionierende Demokratie hat«. Als erster US-Prominenter verlangte er die Schließung des Lagers Guantanamo. Israel forderte er wiederholt zu konstruktiverer Haltung auf und warf ihm vor, die Palästinenser in Apartheidmanier zu behandeln. Er war entschiedener Gegner des Irakkriegs, kritisiert Barack Obama wegen gebrochener Versprechen und überrascht - wiederum Freund wie Feind - auf die Frage, worauf er am stolzesten sei, mit der Antwort, in seiner Amtszeit sein Land in keinen Krieg geführt zu haben. »Wir haben nie eine Bombe abgeworfen, keinen Schuss abgegeben - und dennoch unsere internationalen Ziele erreicht.« In dieser Absolutheit eine gewiss anfechtbare Aussage. An diesem Mittwoch wird der Präsident a. D. 90 Jahre alt.
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