Mehr als ein Schattenmann
Beim EM-Qualifikationsspiel in Polen feiert Thomas Schneider sein Debüt als Assistenztrainer von Joachim Löw
Fast unbemerkt unter seiner Uhr schimmert am linken Handgelenk ein rotes Armband durch. Thomas Schneider trägt das Utensil schon etwas länger, schließlich ist es ein Geschenk der Nachbarstochter. Und so etwas schlägt ein bodenständiges Naturell nicht ab, schließlich ist die Umgebung im ostbayerischen Städtchen Straubing dafür verantwortlich, dass aus dem ehemaligen Profi ein Fußballlehrer wurde, der seit Dienstag offiziell seine Tätigkeit als Assistenztrainer der deutschen Nationalmannschaft aufgenommen hat.
Vor sieben Jahren, als sich der von der Borreliose-Krankheit geplagte Schneider in die Heimat seiner Ehefrau zurückgezogen hatte, klingelte die Nachbarin an der Tür, um zu fragen, ob er nicht helfen könne. Als Trainer. Die A-Jugend des FC Dingolfing hatte doch keinen. Schneider schaute sich die Sache an und sagte spontan zu. Heute will der 41-Jährige nicht mehr ausführlich über die historische Episode sprechen. Sie sei ja nicht lebensbestimmend. Schublade rausziehen, Geschichte hervorkramen, Person ablegen - so funktioniert das bei diesem hintergründig veranlagten Zeitgenossen nicht.
Schneider hinterlässt schnell einen guten Eindruck. Wenn der 141-fache Bundesligaspieler, der den überwiegenden Teil seiner Karriere beim VfB Stuttgart verbrachte und dreimal auch dem Aufgebot der Nationalmannschaft angehörte, so auch im internen Zirkel der sportlichen Leitung im Deutschen Fußball-Bund auftritt, wird sich der kommunikative, aber zurückhaltende Typ (»Argumente werden nicht besser, wenn man sie hinausschreit«) schnell Vertrauen erwerben.
Schneider war bei seinen ersten Mediengesprächen auch so geschickt, den Bundestrainer erst einmal zu würdigen: »Joachim Löw hat eine unfassbare Entwicklung genommen, an Profil und Persönlichkeit gewonnen und ist auf einem Toplevel angekommen.« Ansprüche auf dessen Posten sind auch nicht abzuleiten. So denke er nicht, sagt Schneider. Aber auch wenn er sich zu den bevorstehenden EM-Qualifikationsspielen in Polen und gegen Irland in Bekleidungsfragen mit dem modebewussten Chef abstimmen will, soll niemand glauben, dass da ein Schattenmann eingestellt worden ist.
»Es ist ja nicht so, dass ich Thomas erst kennenlernen müsste«, sagt Löw, der intern auch schon klargestellt hat, dass Schneider einen engen Draht zum neuen Sportdirektor Hansi Flick in Sachen Nachwuchs-Auswahlteams halten soll. Wenn es um die Beobachtung der A-Nationalspieler geht, wird Schneider sogar mehr reisen als Löw. »Wahnsinnig viele Spiele« habe er zuletzt gesehen, berichtete der Zuarbeiter. Mit Löw hat er sich persönlich in einem Besprechungsraum in Stuttgart und in einem mehrtägigen Workshop in München ausgetauscht.
Dabei ging es auch um den Abgleich der Spielphilosophie. Dass das neue Trainerteam bei schnellem Umschalten, gutem Spielaufbau und fairer Balleroberung »auf einer Wellenlänge« funken, kann nicht überraschen, wohl aber, dass der selbst ernannte »Teamspieler« Schneider nun verriet, dass sie sich schon im Rahmen des Länderspiels im März gegen Chile so intensiv ausgetauscht hätten, dass beide Seiten die heutige Lösung für denkbar hielten.
Zur Erinnerung: Zu diesem Zeitpunkt war Schneider noch Trainer beim VfB Stuttgart, ehe er kurz darauf entlassen wurde. »Stuttgart ist kein leichtes Projekt, aber ich habe mit bestem Wissen und Gewissen meinen Job gemacht«, sagt er rückblickend. Anschließend habe er bei der einen oder anderen Anfrage aus der zweiten Liga im Hinterkopf gehabt, vielleicht für den DFB arbeiten zu können. Die neue Aufgabe sei gewiss »kein Schritt zurück«, versicherte Schneider schon mehrfach, »sondern eine große Ehre.« Das Training der Nationalelf möchte er mit Löw planen und dokumentieren, »die Abläufe müssen sich erst einspielen.«
Die WM hat er selbst nur vor dem Fernseher verfolgt, im Finale lud er dann Freunde nach Hause ein, »alle im Deutschlandtrikot, wie sich das gehört.« Und in dem Jubel über den Titel wusste er schon, was das nächste Ziel sein kann. »So wie Spanien - Europameister werden.« Dieser selbstbewusste Zungenschlag gehört auch zu Schneider.
Der DFB hat dem Assistenztrainer ein Büro zugeteilt, obwohl die Otto-Fleck-Schneise in Frankfurt am Main kaum dessen bevorzugte Arbeitsstelle sein wird. In dem holzvertäfelten Raum, in dem sonst Sportgerichtsverhandlungen abgehalten werden, hat Schneider dann doch noch verraten, dass er die Geschehnisse des FC Dingolfing bis heute verfolge. »Die erste Mannschaft ist abgesackt. Aber die Jugendmannschaften stehen noch gut da.« Vielleicht auch dank ihm und seiner mutigen Nachbarin.
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