Der ewige Gärtner

Klaus Kölle hat den Umsatz seines Unternehmens verzehnfacht und jetzt Tochter Angelika die Geschäfte übergeben

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 9 Min.
Im Garten ging das Paradies verloren. Aber in einem Garten wird es auch wiedergefunden. Wie sonst ließe sich deuten, dass heute sogar junge Leute wieder, furchtlos geworden gegenüber »Spießer«-Vorwürfen, Gärten und - selbst dies - Schrebergärten erwerben und damit auf der Kleingartenbühne geschafft haben, worum sich politische Parteien vergeblich mühen: den Altersschnitt ihrer Mitgliedschaft zu senken!
Wir sitzen mit Klaus Kölle, drahtig, braungebrannt und bald 71, auf der Terrasse des Baumhauses, in luftiger Höhe inmitten eines Birnbaums. Der Blick geht auf Laubwald und Weinberge. Unter uns, in sanfter Hanglage und seit fast 100 Jahren im Familienbesitz: die fast 6000 Quadratmeter vom »Äckerle« des Gartenenthusiasten Klaus Kölle. Bis zum 1. Juli war er 22 Jahre Vorsitzender Geschäftsführer von Marktführer »Pflanzen Kölle«. Es ist an diesem heißen Junitag 2006 das erste Mal überhaupt, dass der Gärtnermeister sein privates Refugium am Rande der Neckar-Stadt Heilbronn einem Journalisten und einem Fotografen zugänglich macht.
Der Grund für die Ausnahme ist einfach: Er nähert sich in diesem Augenblick auf dem Feldweg mit quietschenden Reifen. Klaus Kölle kann noch nicht sehen, wer es ist, doch er ist sich sicher: »Wenns so staubt, kanns nur meine Tochter sein.«
Angelika Kölle (41), inzwischen alleinerziehende Mutter der Töchter Viktoria (12) und Katharina (10), liebt nicht nur schnelle Autos. Mehr noch liebt sie schnelle, trotzdem durchdachte Entschlüsse fürs Geschäft. Nur so, ist sich die schlanke, resolute Lady (Hobbys: »Klavier, Flöte und Geige spielen, Sting und Elton John hören, Gedichte schreiben - nur für mich«) sicher, wird »Pflanzen Kölle« den Mitbewerbern auch künftig eine Beetfurche und Balkonbreite voraus sein. »Und nur wenn wir Marktführer bleiben, haben wir mit unseren Alleinstellungsmerkmalen als Familienunternehmen eine Chance.«

Auch bauchgesteuert ...
Die bisherige Juniorchefin hat Anfang Juli die operative Geschäftsführung von »Pflanzen Kölle« übernommen. Das ist ein Einschnitt nach der Ära Klaus Kölles, der freilich als Geschäftsführer im Handelsregister bleibt. »Der Titel ist ihm von seinem Vater vererbt worden, und für mich ist es Ausdruck des riesigen Respekts vor seiner Lebensleistung, dass ich ihn weiter an meiner Seite weiß«, sagt Angelika.
An zwei Dingen lässt sie dennoch keinen Zweifel: Erstens wird die gelernte Betriebswirtin, die bei keiner Schnellsprech-Meisterschaft in eine Außenseiterrolle käme, keine Frühstücksdirektorin sein. Zweitens will sie das Unternehmen, das heute rund 1200 Beschäftigte und jährlich etwa 30 Azubis zählt, Anzuchtbetriebe (mit über 40 000 Quadratmetern Gewächshausfläche und 18 Hektar intensiver Baumschulfläche) in Heilbronn, München, drei Blumenmärkte im »Ländle« sowie zehn Gartenzentren in Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg und Berlin betreibt, noch stärker als ihr Vater übers Management führen. Sie ist sogar der Meinung, dass sie ihre Ziele »noch höhersteckt« als der Vater, und als »absolute Schlechtwetter-Kapitänin« sieht sie sich sowieso: »Wenn es irgendwo Probleme gibt, bin ich der Typ, der sagt: Her damit!« Ihr eigener Kopf klingt auch an, wenn sie - in seinem Beisein - dem Vater ins Stammbuch schreibt, dass sie mit seinem Führungsstil »nicht immer einverstanden« gewesen sei. Sie erinnert daran, wie Klaus Kölle früher öfter »mit dem Diktiergerät durchs Gartencenter gelaufen« sei und dann seine Beobachtungen über das Belegschaftsverhalten in Berichten ausgewertet habe. »Ein sehr männlicher Stil«, findet Angelika Kölle, ohne mich in dem Moment restlos davon zu überzeugen, dass die weibliche Peitsche weniger empfindlich sein könnte.
Leistungsorientiert ist die ganze Familie. Die Juniorchefin, die nun nach vorn tritt, ist darüber hinaus auch überdurchschnittlich tempo-orientiert: Sie zitiert gern Großvater Hugo, der 1957 faktisch das erste auf Selbstbedienung beruhende Pflanzenzentrum Europas in Heilbronn eröffnete. Großvater Kölle sah keinen Nachteil, sondern einen Vorzug darin, »wenn man nicht zu stark kopf-, sondern auch ausreichend bauchgesteuert ist«. Angelika Kölle jedenfalls kann »mehr mit Menschen als mit Theorien anfangen«. Zudem weiß sie, die seit 15 Jahren der Geschäftsführung angehört, dass es nur die oder der Beste und nicht irgendein »Recht des Erstgeborenen« rechtfertigt, an die Spitze eines solchen Familienunternehmens zu rücken. Alles andere, jede leistungsfeindliche Nachsicht würde eine Familienfirma wie »Pflanzen Kölle« eher auf kurz als auf lang »in Buddenbrooks Fahrwasser treiben und an die Wand fahren«.
Angelika Kölle will deshalb den gefragten, aber schwierigen deutschen Gartenmarkt noch vorausschauender beackern. Sie werde viel rausgehen und dem Markt den Puls fühlen. Und sie werde sich »immer an den Besten in anderen Branchen orientieren - an Douglas oder IKEA etwa«, sagt sie und seufzt, schon wieder ungeduldig: »Wie wollen Sie sich an der Spitze halten, wenn Sie sich an niemandem orientieren!«

»Ich kann noch dienen«
Klaus Kölle, der Familienmann, der das Baumhaus auf dem »Äckerle« wie den Privatgarten insgesamt nicht zuletzt für seine acht Enkel so hegt und pflegt, sieht in Angelikas Temperament und Zielstrebigkeit auch den Erfolg seiner Fürsorge. Er und Ehefrau Annetraud hatten Angelika und die beiden anderen Töchter früh zu Konsequenz und Selbstständigkeit erzogen. Diese Eigenschaften hat der arbeitsame und gleichwohl genussfähige Schwabe in sein Lebenswerk »Pflanzen Kölle« investiert und ein Unternehmen geformt, bei dem die Kunden spüren, dass sie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen.
»Die Gäste, die in unsere Gartencenter kommen«, erklärt der nunmehrige Seniorchef, »sollen allzeit hohen Kundennutzen haben.« Klaus Kölle sieht sich als »Schaffer und Macher«, für den »der Weg das Ziel« ist. Er sagt von sich: »Ich kann dienen, das können viele nicht mehr.« Sein gärtnerisches Credo fasst er so zusammen: »Schönes mit Nützlichem verbinden.«
Zur Verdeutlichung greift der Mann, der Rosenzüchter oder Bauingenieur hatte werden wollen, wie so oft zum Rosen-Beispiel. »Kundennutzen« zeige sich für ihn keineswegs nur in der Schönheit einer Rose, so wie sich ihr Wert auch erst nach Jahren erschließe. Der aber habe mit »der inneren Qualität« zu tun, und in ihr offenbare sich letztlich der wahre Kundennutzen: »Gesundheit der Blätter, die Frosthärte, die Gabe zum Wiedererblühen, schließlich Duft und Farbe.« Die üblicherweise zuerst genannten Eigenschaften rangieren bei Klaus Kölle also nicht ganz so weit vorn. Die Kür der Schönheit ist für ihn erst bestanden, wenn die Pflicht der Gesundheit erfüllt worden ist.
Schönheit nicht ohne Nutzen und Nutzen nicht ohne Schönheit zu betrachten, das hat den Schwaben auch auf dem »Äckerle« geleitet. Der Privatgarten ist eine grüne Schönheitsfarm. In ihr umschmeicheln die Stauden seiner »Staudenerzieherin« und Ehefrau Annetraud die Rosen. In ihr haben Rosenbögen und -inseln Soloauftritte. In ihr sind die vielfarbigen, vielfach duftenden Rosen glanzvolle Einfassung eines Rasenteppichs, den man augenblicklich als englische Enklave auf deutschem Grund wahrnimmt. Das alles - nicht zu reden vom Weißen Pavillon und seiner weißen Dornröschenpracht - ist selten schön. Und es erinnert daran, dass man den Garten des Paradieses wohl tatsächlich nicht mit den Füßen, sondern mit dem Herzen betritt.
Aber Klaus Kölle wäre kaum der Qualität besessene Gärtner, der er geworden und für sein Unternehmen geblieben ist, hätte er nicht sogar auf dem »Äckerle« noch im Blick, was »Pflanzen Kölle« mit »geprüfter Gärtnerqualität« beansprucht und seinen Gartenmärkten in vorläufig vier Bundesländern - auf den Großraum von Frankfurt (Main) richten sich die nächsten Anstrengungen - in den Augen vieler Kunden das Urteil »Besser geführt, besser geprüft, besser sortiert« verleiht.

Reichlich Personal
Das »Äckerle« ist Oase, Enkelparadies und Hobbyraum. Doch es ist auch Testgarten, mit beispielsweise 350 Rosensorten, darunter viele Englische, nicht zuletzt von Altmeister David Austin, inzwischen 80, aber auf seinem Anwesen in Albrighton in den West Midlands noch ähnlich aktiv wie Kölle, der zehn Jahre Jüngere. Dazu kommen etwa 100 Clematisarten und viele andere Blumen, Stauden und Bäume. Hier begutachtet Klaus Kölle, teilweise über mehrere Jahre, jene inneren Qualitäten andernorts gekaufter Blumen und Pflanzen, ehe er sie eventuell ins eigene Sortiment holt. So wie in der Architektur (meist) die äußere Form der Funktion folgt, ist für den »ewigen Gärtner« duftende Schönheit ohne dauerhafte Gesundheit ein flüchtig Gut.
Die Konjunktur für Pflanzen, Gärten und Zubehör, von denen am meisten die Discounter unterhalb des Qualitätsanspruchs von »Pflanzen Kölle« profitieren, bewertet der Pensionär gleichfalls unter dem Blickwinkel der Schönheits- und Werterwartung. »Der Garten bekommt einen immer größeren Stellenwert als Ort der Besinnung jenseits der hastenden, oft banalen Welt. Viele Menschen, auch junge, werden qualitätsbewusster. Sie verbinden Schönheitssinn mit Gesundheitsbewusstsein.« Hier mit Kompetenz, Freundlichkeit, Top Service und auch mit mehr Personal als in anderen Bau- und Gartenmärkten eine Qualitätslücke zu schließen, dazu sieht sich »Kölle« aufgefordert - und in der Lage. »Wir wollen kein Schickimicki-Betrieb, sondern für jedermann da sein, und: Es lohnt, in gutes Personal zu investieren«, begründet Kölle seine fast anachronistisch anmutende Sicht. »Gut geschultes Personal, das sich auskennt, läuft nicht vorm Kunden und vor schwierigen Fragen davon.«

Das Zeug zum Star
Achim Werner (43) kommt wie Klaus Kölle aus dem Ländle und lebt - wie viele aus dem Ländle - heute in Berlin. Er ist Gartenbauingenieur und hat von 1982-1985 als Baumschulgärtnerlehrling bei »Pflanzen Kölle« in Heilbronn gelernt. Seinen Lehrmeister von einst hat er »als Freund des deutlichen Wortes« erlebt. »Hart, aber gerecht«. Und er hat ihn kennen gelernt als einen Mann, »der viele Leute gefördert hat, um sie im Betrieb zu halten«. Mit am meisten beeindruckt Werner, der zu einer Zeit lernte, als das Unternehmen drei Gartencenter besaß, »wie sich Pflanzen Kölle mit ordentlicher Qualität gegen wirklich harte Konkurrenz durchgesetzt hat«.
Fordernd ist der Alt-Unternehmer gegenüber seinen Angestellten bis heute, besonders wenn sie im Direktkontakt zum Kunden stehen. »Wir alle machen Fehler«, sagt er, »aber wir dürfen nicht zwei Mal den gleichen begehen.« Oder: »Heute bezahlt fast die Hälfte mit Karte. Wenn da eine Kassiererin einen Kartenzahler nicht mit Namen verabschiedet, hat sie ihren Arbeitsplatz nicht sicherer gemacht.«
Führungsunterschiede von Vater und Tochter lassen sich mitunter in Kleinigkeiten ahnen. Sie machen die Neugier auf Folgen der Unternehmenszäsur noch größer. Während Angelika Kölle die Frage nach ihren liebsten Rosen mit der spontanen Ansage verbindet, rote (»zu platt«) und gelbe gar nicht zu mögen, ausschließlich gefüllte zu akzeptieren und vor allem Rosen in Rosa, Pink und Weiß (»Weiß bringt immer Ruhe in Strauß und Garten«) zu lieben, antwortet der Vater, etwas ratlos in den Garten blickend, mit Goethescher Galanterie: »Vor 14 Tagen war es mir die "Gertrude Jekyll" und heute vielleicht die "Teatime". In einem Garten wechseln die Favoriten. Allerdings versuche ich mich nur mit solchen Rosen zu umgeben, die wenigstens für einen Tag im Jahr das Zeug zum Star haben.«

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