Schwarzgeld zu Tagträumen

  • Sarah Liebigt
  • Lesedauer: 3 Min.

Rainer Schwarz kriegt eins komma zwei Millionen Euro. Und hundertneunundvierzigtausend Euro Altersversorgung. Hat das Landgericht Berlin heute entschieden. Rainer Schwarz war Geschäftsführer der Flughafengesellschaft Berlin Brandenburg (FBB) als der BER ohne Sauerstoffmaske und Sicherheitsdings zu Boden ging. Bruchlandung deluxe. Seither stehen die Rettungswagen mit immer noch eingeschaltetem Blaulicht um das Wrack herum, hektisch hin und her laufen tut aber niemand mehr. Aber auf die Intensivstation wurde Willy Brandt gar nicht erst gebracht.

Anyway. Wo muss ich mich bewerben? Ich hab' Teamführungserfahrung, ich bin Lokaljournalistin, ich weiß wie die Berliner ticken, nach Brandenburg fahr ich auch oft, kenn ich also auch und mit dem Öffentlichen Personennahverkehr hab' ich auch viel Erfahrung. Ich hab jede Menge Softskills, ich kann Excel, ich kann Word, ich kann Websites, ich kann Social Media, ich kann Rotes Rathaus, ich kann alles. Im Verkehrsministerium war ich nicht so oft bisher, aber Konferenzen mit vielen Leuten, die schlau daher reden oder sich streiten und gegenseitig ins Wort fallen kann ich auch.

Ich will das ja auch nur ein paar Jahre machen, die gehen schnell rum. Dann gehe ich auf dem Rollfeld spazieren, lasse mich mit Wildhasen und anderen Bewohnern ablichten, führe Touristen durch Berlins größtes begehbares Kunstprojekt – ganz richtig, unter mir als Geschäftsführerin kann man dann auch in den BER rein gehen – und ich mache auf meinem Chefsessel selbstverständlich eine gute Figur. Voller Elan und Tatendrang Büroflure entlanglaufen kann ich auch gut, die KollegInnen werden das bestätigen.

Nach sieben, vielleicht acht Jahren können sie mich feuern, dann klage ich auf Lohnfortzahlung und Altervorsorge und Rentenansprüche. Und dann kriege ich nochmal ne halbe Million mehr, weil ich anmerken werde, dass man mich nur rausschmeißt, weil ich eine Frau bin und dann kriege ich Schmerzensgeld. Sämtliche frauenfeindlichen Twitterkommentare und sexistischen Witze auf Aufsichtsratstagungen werde ich sorgfältig dokumentieren für den Tag X.

Dann brauch' ich eine Weile nicht arbeiten, setze zwei Kinder in die Welt und kaufe mir die Kawa er6n, eine Thruxton 900, außerdem eine Fireblade, wenn ich schon dabei bin und 'ne Fazer von Yamaha sowieso. Die parke ich dann in meiner durchgentrifizierten Dachgeschosswohnung (Altbaudoppeltüren, Fischgrätenparkett, Dachterrasse mit Birkenwäldchen), aufgereiht im 20 Meter langen Flur (rechts Bikes, links Bücherregale). Wenn ich nicht grade mit ihnen abwechselnd auf der Rennstrecke vorm BER fahre: Eröffnet hat der natürlich unter meiner Führung nicht. Ich muss mir doch meinen Freizeitspaß sichern.

Nach zwei Jahren oder drei veröffentliche ich meine Autobiographie, über Lehrjahre am Berliner Puls der Zeit: Die Großen Einschnitte, Wowereits Rücktritt, die BER-Katastrophe, die Rettung des neuen deutschlands vom sinkenden Schiff der Tageszeitungen und schließlich der Dolchstoß durch die Gläserne Decke, all das wird genug Stoff geben für mein Werk »In all den wunderbaren Jahren...«. In dem Buch wird es natürlich auch um meinen sozialistischen Migrationshintergrund gehen, war doch der erste große Einschnitt in meinem Leben die Befreiung aus der DDR. Der Wälzer wird dann verfilmt von Leander Haußmann und Sven Regener und das Drehbuch soll Kathrin Passig schreiben oder so.

***

Mein Telefon klingelt. »Die Eins kommt gleich...« Verwirrter Blick. Ich habe doch grade Radio eins ein Interview gegeben und Anekdoten erzählt, wie die Tageszeitung xyz immer OTSsen geklaut hat früher... Soviel schönes Kopfkino in fünf Minuten, nur weil ein Mensch zu viel Kohle kriegt.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.