Vitos und der Sinn von Öffentlichkeit

Klinik zieht Anzeige gegen Vertrauensleute zurück

  • Hans Gerd-Öfinger, Wiesbaden
  • Lesedauer: 3 Min.

Dass öffentliches Interesse und politische Intervention auch in betrieblichen Konflikten ausschlaggebend sein können, zeigt das Beispiel des Vitos-Klinikums im südhessischen Riedstadt. Die Klinik zählt zu den ältesten psychiatrischen Krankenhäusern der Republik. Zusammen mit anderen Landeskliniken wurde die Einrichtung, die sich längst von der Verwahranstalt zur modernen Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie gemausert hat, inzwischen dem vom hessischen Landeswohlfahrtsverband kontrollierten Vitos-Konzern unterstellt.

Auch in Riedstadt ist die Situation im Gefolge von Kostendruck und Budgetierung schwierig: Leistungsverdichtung, Überstundenberge, eine allzu dünne Personaldecke und ein hoher Krankenstand prägen zunehmend den Arbeitsalltag. Weil eine Besserung nicht in Sicht war, beschlossen die lokalen Vertrauensleute der Gewerkschaft ver.di im Sommer innerbetriebliche Protestaktionen. So schmückten auf Folienzetteln aufgemalte Parolen bald unübersehbar die Häuser des Klinikums. »Gesundes Personal - gesunde Pflege«, hießt es da, »Überlastung durch zu viele Überstunden«, »Endlich Pause«, »Zu wenig Personal«, »Steigende gewalttägige Übergriffe auf Beschäftigte« oder »Mein Frei gehört mir« .

Doch anstatt die Zettel als Aufschrei einer hoch motivierten Belegschaft aufzufassen und gemeinsam mit den Beschäftigten Auswege zu erörtern, reagierte die Geschäftsführung mit einer Strafanzeige gegen zwei ver.di-Vertrauensfrauen als vermeintliche »Täterinnen«. Sie sollten exemplarisch an den Pranger gestellt werden. Die beiden hätten Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung begangen, so der Vorwurf.

Aus Gewerkschaftssicht waren diese Vorwürfe von Anfang an nicht haltbar. Schließlich hätten die Folienzettel im Haus definitiv keinen Schaden angerichtet und außerdem gebe es kein Verbot, den Betrieb auch außerhalb der Arbeitszeit zu betreten, so die Argumentation in ver.di-Kreisen. Um ihre beiden Kolleginnen nicht im Regen stehen zu lassen, trugen bald auch zahlreiche Betriebsratsmitglieder und ver.di-Aktivisten demonstrativ eigens angefertigte T-Shirts mit der Aufschrift »Ich war dabei« und »Wir kommen immer wieder« und wiesen jüngst in einer zweiten Aktion erneut auf die Missstände hin.

Bewegung kam in den Konflikt, als die Sache öffentlich wurde und ein Parteitag der hessischen LINKEN am vorletzten Wochenende eine Solidaritätsresolution für die ver.di-Frauen verabschiedete. Als der Landtagsabgeordnete Hermann Schaus zusammen mit dem Groß Gerauer Kreistagsmitglied Christiane Böhm (beide LINKE) dieser Tage - im Beisein von Journalisten - Betriebsrat und Vertrauensleuten die Solidaritätserklärung überbrachten, überschlugen sich die Ereignisse.

Umgehend setzten sich Vertreter von Geschäftsführung und Belegschaft in Beisein von Schaus und Böhm an einen Tisch. Zwei Stunden später leitete Geschäftsführer Siegfried Hüttenberger einen Rückzieher ein. Man habe, so heißt es in einer gemeinsamen Erklärung, die ver.di-Aktion gegen eine unzureichende Personalausstattung im Haus erörtert. Seitens der ver.di-Vertrauensleute gebe es »kein Interesse, dem Betrieb zu schaden«, sondern man wolle »weiterhin gute und qualifizierte Arbeit sicherstellen«. Am Ende folgt ein Bekenntnis zur »konstruktiven Zusammenarbeit«.

»Die Strafanzeigen werden zurückgenommen«, bestätigte eine Vitos-Sprecherin am Mittwoch auf nd-Anfrage.

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